Elias, Inga, Mohammed – Namen, die sich schmerzhaft in das öffentliche Gedächtnis brennen. Warum verschwinden immer wieder Kinder, werden sie Opfer von Verbrechen? Wie können Eltern  ihre Lieblinge schützen? Daniela Windolff sprach darüber mit dem Buchautor und Polizisten Steffen Meltzer.

Herr Meltzer, immer wieder sorgen Fälle von verschwundenen, missbrauchten oder getöteten Kindern für Schlagzeilen und machen Angst. Ist die Kinder-Welt gefährlicher geworden?

Ja und nein. Bei Kindstötungen, Verletzungen, Missbrauch in den Familien haben wir im Gegensatz zu 1990 in der Kriminalstatistik zwar sinkende Zahlen. Aber das Risiko ist für Kinder trotzdem gestiegen, da es inzwischen deutlich weniger Kinder gibt. Nicht zu vergessen ist eine hohe Dunkelziffer unentdeckter Fälle. Etwas anderes ist es, wenn Kinder entführt oder vermisst werden. 97 Prozent der vermissten Kinder tauchen glücklicherweise wieder auf. Unter den restlichen drei Prozent  gibt es  eine  hohe  Quote von  Kindesentziehungen bei Sorgerechtsstreitigkeiten. Nur ein  sehr geringer Anteil wird Opfer von Verbrechen durch fremde Täter, wie Elias und Mohammed. Gerade diese Fälle rufen ein großes öffentliches Interesse hervor, währenddessen Tathandlungen an Kindern in Familien oft nicht entdeckt und verfolgt werden.

Kann man sein Kind überhaupt vor solchen Gefahren schützen?

Um ehrlich zu antworten: Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit, außer man würde sein Kind Tag und Nacht in der Wohnung einschließen. Das ist natürlich lebensfremd. Als Eltern müssen wir also mit einem bestimmten Risiko leben lernen, auch was die Unantastbarkeit unserer Kinder betrifft. Selbst wenn wir viele Regeln der Erziehung beachten:  Kinder sind gegenüber gewalttätigen Erwachsenen einfach körperlich zu unterlegen. Aber man kann das Risiko erheblich senken.

Wie können Eltern das schaffen, ohne das Kind ständig zu behüten?

Das Wichtigste, was Eltern ihren Kindern mitgeben können, ist uneingeschränktes Vertrauen, Herzenswärme und Empathie. Das Kind soll wissen, es kann jederzeit mit seinen Problemen zu den Eltern kommen, ohne Angst vor Bestrafung haben zu müssen. Kinder, die zu Hause seelisch und körperlich klein gemacht oder erniedrigt werden, sind leichter Opfer.  Oft leider ein Leben lang. Kinder, die gelernt haben, ihre Gefühle zu benennen und auch einmal „Nein“ sagen dürfen, denen auch klare Grenzen aufgestellt werden, die können ein gesundes Selbstvertrauen entwickeln.

Eltern wünschen sich aufgeschlossene, offene und kontaktfreudige Kinder. Aber sind nicht gerade sie auch gefährdeter, in ihrem Vertrauen missbraucht zu werden, als ängstliche Kinder?

Es ist für Kinder wichtig zu wissen, dass da draußen auch bösartige Menschen ihr Unwesen treiben. Damit kann man nicht früh genug anfangen. Jedoch darf ihnen

damit auf keinen Fall pauschal Angst gemacht werden, denn das würde genau das Gegenteil von dem erreichen, was wir uns wünschen.

Und welche Tipps können Sie Eltern geben?

Oft ist schon ein Anfang gemacht, wenn man ihnen erklärt, dass sie selbst entscheiden, wer sie anfassen darf.  Kinder sollten klare Verhaltensregeln lernen.  Die wichtigste ist: Lerne „Nein“ zu sagen! Gehe nie mit fremden Personen mit! Nimm von Unbekannten keine Geschenke an. Sprich im Gefahrenfall andere Menschen direkt und laut an: Sie in der blauen Jacke, helfen Sie mir! Schrei laut um Hilfe und renne weg!

Viele Kinder wissen, dass sie nicht mit Fremden mitgehen sollen…

Richtig. Es gab in den USA einen Test mit versteckter Kamera, in den nur Eltern eingeweiht waren. Sie wurden vorher gefragt, ob sie denken, dass ihr Kind mit einem Fremden mitgehen würde. 99 Prozent der Eltern sagten nein. Und was ist passiert?  Der Täter lockte die Kinder vom Spielplatz mit einem Hundewelpen im Arm, indem er sagte:  Willst du noch mehr Welpen sehen?  Fast alle Kinder sind mitgelaufen! Trotz guter Regeln der Eltern.  Man kann solch einen Test auch mal beim eigenen Kind machen, vielleicht mit einem vertrauten Kollegen, den das Kind nicht kennt. Wichtig ist, das Ergebnis hinterher unbedingt gemeinsam und vorwurfsfrei auszuwerten.

Ist es ratsam, schon Grundschulkindern ein Handy mitzugeben?

Durchaus. Es gibt spezielle Kinderhandys, die einfach zu bedienen sind und bei denen sich die Ortung für GPS aktivieren lässt. Ältere Kinder sollten aber wegen des sozialen Drucks ein normales Handy besitzen!

In Ihrem Buch „Ratgeber Gefahrenabwehr“ beschreiben Sie verschiedene Tätertypen. Was sollte Kinder, Eltern oder andere Erwachsene misstrauisch machen, ohne gleich Menschen unter Generalverdacht zu stellen?

Täter sind Senioren, Jugendliche, Männer, Frauen, andere Kinder, Reiche, Arme, Hoch- wie Minderbegabte. Manche führen ein Doppelleben.  Oft haben sie ein geringes Selbstwertgefühl, mangelnde Empathie  oder wurden selbst missbraucht. Wenn sich fremde Menschen dem Kind nähern,  es ansprechen, Geschenke versprechen,  versuchen, das Kind zu manipulieren, um es zu etwas zu überreden,  gar anfasst,  ist höchste Vorsicht geboten.  Das trifft übrigens auch auf den Bekanntenkreis der Familie zu.

Zur Person: Steffen Meltzer (53) ist Polizeioberkommissar und Einsatztrainer bei der Brandenburger Polizei in Potsdam und seit über 30 Jahren im Polizeidienst. Seit einigen Jahren schreibt und veröffentlicht Steffen Meltzer Artikel über verschiedene Themen aus den Bereichen Polizei, Psychologie, Sicherheit und Abwehr von Gewalt. 2015 ist sein Sachbuch erschienen „Ratgeber Gefahrenabwehr“, Ibidem-Verlag-Stuttgart, ISBN: 978-3-8382-0765-0.