Titelbild: envato/ Grafiken, Text: Steffen Meltzer

 

Nachdem im ersten Teil festgestellt werden konnte, dass Gewalt beim Fußball alles andere als unnormal ist, die Obrigkeit das Treiben mit Argusaugen verfolgte, später das Militär den Fußballsport dazu nutzte, seine Soldaten auf die Schlachten vorzubereiten, kommen wir nun zu einer Entwicklung, die nach dem Sieg bei der Weltmeisterschaft 1974 in der Bundesrepublik einsetzte und im Übrigen auch vor der DDR nicht Halt machte.

Mit dem Erringen des zweiten Weltmeistertitels begann im westdeutschen Fußball die Ära einer bis dahin nicht gekannten Kommerzialisierung. Ab sofort stand die ökonomische Entwicklung im Wettstreit der Vereine im Vordergrund, was natürlich nicht ohne Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Publikums in den Stadien bleiben konnte. In den modernen Stadien wuchs der Anteil des mittelständischen Publikums, andererseits gab es die billigen Stehplätze nur noch in den „Kurven“. Die ersten Spieler gingen ins Ausland und wurden Superstars. So verdiente Günter Netzer in den Jahren 1975/76 damals unglaubliche 295 000 DM/Jahr. Spieler wie Beckenbauer, der „Bomber“ Gerd Müller oder Ulli Hoeneß schlossen lukrative Werbeverträge ab. Die allseitige Vermarktung spielte ab sofort Powerplay. Wer nicht mitzog, wurde ausgewechselt und stieg ab, dabei konnten nicht alle Bundesligavereine mithalten. Fußball war nicht mehr „Proletensport“, sondern in allen Schichten gesellschaftsfähig. In der DDR versuchte man wenigstens sportlich durch die Schaffung von Leistungszentren (Dresden, Berlin, Leipzig, Jena und Magdeburg) mitzuhalten. Als 1973 Dynamo Dresden gegen Bayern München im Cup der Landesmeister spielte und mit 3:3 und 3:4 gegen Beckenbauer, Gerd Müller und Co  nur sehr knapp ausschied, hatte eine bessere „Bezirksauswahl“ die Superstars aus Bayern an den Rand des Ausscheidens gebracht.

Bald jedoch trat ein ungeliebtes Klientel auf den Plan, die Hooligans (Raufbold, Rabauke, Schlägertyp).

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Über die Entstehung des Begriffs „Hooligan“ gibt es mehrere Legenden. Eine davon besagt, dass diese auf eine irische Familie zurückgeht, deren Familienname „Hoolihan“ lautete und die ihren rustikalen Ruf durch viele Schlägereien errungen hatte. Andere Quellen verweisen auf einen irischen Randalierer und Anführer Namens „Patrick Hooligan“, der von der Londoner Polizei 1898 benannt wurde. Auch wurden irische Auswanderer unter diesem Namen in New York bekannt. Wieder aktuell wurden die Hools in den 60er-Jahren in Großbritannien. Sie waren dort weit verbreitet und berüchtigt dafür, nach Tanzveranstaltungen und Fußballspielen wilde Schlägereien anzufangen. In den 70er- Jahren schwappte das Problem dann von der Insel nach Europa herüber.

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Welche Motive haben Hooligans?

„Dieses Gefühl hast du bei keiner Frau und keiner Droge. In unserer modernen Lebenswelt werden Emotionen mehr und mehr unterdrückt, wir müssen funktionieren. Die Gewalt, die im hohen Maße emotionsgeladen ist, bietet die Möglichkeit, kurzzeitig auszubrechen“ (Zitat eines Hooligans). Ein Motiv ist der zuvor beschriebene Kitzel, der Kick am Adrenalinausstoß. Dafür setzen sie selbst ihre bürgerliche Existenz aufs Spiel. Gewalt ist für diese Personen eine Möglichkeit, angestaute Energie freizusetzen. Dabei nehmen sie weder auf sich selbst Rücksicht noch auf andere. Hier finden wir tatsächlich den Bankangestellten, Zahnarzt, Studenten oder gelangweilten Familienvater wieder. Nach soziologischen Untersuchungen, ganz entgegen der Legendenbildung, allerdings eine Minderheit unter den Hools.

Warum neigen Personen aus einem „bürgerlichen Elternhaus“ zur Gewalt?

Weil bei ihnen einiges im Elternhaus „anders“ gelaufen ist. Herzlos kalte Eltern, Anerkennung nur bei Leistung, kein ausgebildetes Empathievermögen und eine narzisstische Störung können die „ganz normalen“ Gründe sein, warum sich Jungerwachsene „aus gutem Hause“ zur Gewalt verabreden. Hier finden sie die Anerkennung, die ihnen Vati und Mutti regelmäßig versagt haben. Das Gefühl der Macht ist verführerisch. Vor allem für gestrandete Menschen, z. B. Schul- und Ausbildungsabbrecher und Menschen ohne vermeintliche Perspektive usw., die den größten Teil der Hools ausmachen. Durch besonders brutales Auftreten kommt es zur Aufwertung in der Gruppe. Macht ist für solche Personen wie eine Droge der Anerkennung, die sie sonst nie hatten. Hooligans brauchen den Fußball für die große Bühne, um sich den Kick und Selbstbestätigung zu suchen. So sind englische Hools für die 39 Toten im Endspiel der Landesmeister zwischen dem FC Liverpool und Juventus Turin 1985 im Brüsseler Heyselstadion verantwortlich. Oder deutsche Hools, die 1998 in Frankreich zur WM den Gendarm Daniel Nivel so schwer verletzten, dass er bleibende Schäden davontrug.

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Durch eine gute taktische und strategische Polizeiarbeit haben die Hooligans ihren „Lieblingsgegner Polizei“ eingebüßt und wurden aus den Bereichen der Stadien weitestgehend vertrieben. Das hatte zur Folge, dass man sich durch eine gute Organisation (Handy) „auswärts“ mit anderen Hools traf. Hier fanden und finden dann die „internen Wettkämpfe“ statt. Ab sofort schlägt man sich untereinander mit Vorabsprachen zur Kleidung, Stärke des Mobs, Schiedsrichtern und Regeln, die sowieso nicht eingehalten werden. Es gab sogar Tabellen, ähnlich der Bundesliga. Der angebliche „Ehrenkodex“ besagt, dass man ohne Waffen kämpft, auf den am Boden liegenden nicht eintritt und Unbeteiligte verschont. Da kann ich nur sagen: „Hooligans sind nicht das, was sie gern vorgeben zu sein.“ Es wird auf wehrlose Gegner und Unbeteiligte eingetreten und selbst Waffen haben schon Verwendung gefunden.

Hooligans sind zurückgedrängt, aber keineswegs verschwunden. Neuerdings versuchen sie über einen „Krawalltourismus“ in den Stadien, gemeinsam mit Rechtsradikalen und radikalen Teilen der Ultras (deren Subkultur grundsätzlich nicht Hooligans gleichzusetzen ist), ihr Comeback zu feiern. Dazu später in der letzten Folge mehr. Neben den Hooligans versuchte verstärkt in den 80er- Jahren, eine rechtsradikale Szene in den Stadien Fuß zu fassen. Beispielgebend möchte ich hier die „Borussenfront“ aus Dortmund nennen, die damals ein großes Problem darstellte. Aber Affenlaute und rechtsradikale Parolen gab es auch in den Stadien der DDR, ebenso wie eine Hooliganszene, die sich ab Mitte der 80er- Jahre mit neonazistischem Hintergrund in Ostdeutschland herausbildete. 1985/86 beklagte die Deutsche Volkspolizei, dass es bei 43 Prozent aller Oberligaspiele zu „Vorkommnissen“ gekommen sei. Besonders aus dem Anhang des BFC Dynamo (Berlin) entwickelte sich eine schlagkräftige Hooligangruppe, die ich übrigens einige Male „in Aktion“ erleben „durfte“.

Obwohl man inzwischen davon ausgehen kann, dass die rechtsradikale Szene aus den Stadien zurückgedrängt wurde, (Statistik ZIS zur Saison 2011/2012 Verstöße gegen § 86a StGB: 97 Verfahren und diesbezüglich 378 registrierte Personen), ist zu beachten, dass rechtsextremistisches Gedankengut auch noch in so manchen Köpfen der Stadionbesucher vorhanden ist. Auch heute noch versucht die rechtsradikale Szene in den Sportvereinen aktiv zu werden, um den Sport als Rekrutierungs- und Propagandafeld zu nutzen. Die Sportplätze dienen als Bühne für ihre Ideologie, ja selbst eine Art „vormilitärische Ertüchtigung“ soll mit dem Fußball oder anderen Sportarten verbunden werden. Sprechchöre und Spruchbänder sind oft verschlüsselt und für Außenstehende schwer zu verstehen. Beispielsweise: „Die Halben holt der Teufel“, was dem Buch „Die Abenteuer des Werner Holt“ entnommen ist. Dieser Spruch entstammt einer Figur, dem fanatischen Hitlerjungen Gilbert Wolzow, der in der weiteren Konversation aussagt: „Wir stehen zum Führer“, was die eigentliche Botschaft ist.

 „Die Ärzte“ in „Schrei nach Liebe“:

„Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe, deine Springerstiefel sehnen sich nach Zärtlichkeit. Du hast nie gelernt, dich zu artikulieren und deine Eltern hatten niemals für dich Zeit“

... beschreibt zutreffend, dass es möglich ist, die Mitläufer in die gesellschaftliche Mitte zu holen, währenddessen gegenüber ideologischen Straftätern und dem „harten Kern“ nicht nur Therapie, sondern Repressionen notwendig sind. Im nächsten Teil will ich die heterogene Subkultur der Ultras beleuchten. Eine Kultur, die mit Hooligans und Rechtsradikalen in Deutschland lange nichts am Hut hatte, aber neuerdings einige Schnittstellen aufweist, wie nicht nur ein aktuelles Beispiel im Land Brandenburg zeigt.

Steffen Meltzer, veröffentlicht in „Deutsche Polizei“ Landesausgabe Sachsen 02/2014 und Landesausgabe Brandenburg 09/2013

 

Grafiken siehe kompletten PowerPoint-Vortrag: hier