.Foto, Grafik, Text: Alle Rechte Steffen Meltzer

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„Wer ins Stadion geht, der begibt sich in Lebensgefahr“. Mit diesem Ausspruch einer Person begann ich den ersten Teil dieser Artikelserie. Bis dahin hatte ich beleuchtet, dass „Gewalt“ schon immer eine Erscheinung rund um diesen Wettkampf war. Angefangen von den blutigen Spielen der Mayas und Azteken, weiter über die Massenschlägereien im 12. Jahrhundert Europas, den Anfängen der Neuzeit in England, bis hin zum Auftreten der Hooligans, Rechtsradikalen, Kutten, Eventfans und der Subkultur der Ultras. Außerdem habe ich beschrieben, dass die Obrigkeit erst sehr misstrauisch diesen Sport beäugte, um ihn später auszunutzen. Stromlinienförmige, harte und angepasste Charaktereigenschaften bei Soldaten und Führungskräften wurden mithilfe des Fußballs herausgebildet. Deshalb haben viele Fußballbegriffe einen militärischen Ursprung. Um es nicht zu vergessen habe ich versucht, die stark einsetzende Kommerzialisierung in den 70er- Jahren mit den damit verbundenen „Nebengeräuschen“ darzustellen, deren Auswirkungen bis heute andauern. In der letzten Folge will ich aufzeigen, welche Möglichkeiten vor allem die Polizei hat, Gewalt einzudämmen, denn gänzlich „beseitigen“ wird sie sich nie lassen. Doch wenden wir uns nun der Gegenwart zu:

„Haben Sie Angst vor Kriminalität? Dann wählen Sie eine andere Tageszeitung!“ (Brecht).Wenn wir uns mit der medialen Sensationslust zu den verletzten Personen in deutschen Stadien befassen, so ist es zielführend, seriöse Quellen zu bemühen. Als erstes werde ich mich auf die Angaben der ZIS-Veröffentlichungen (Zentrale Informationsstelle für Sporteinsätze) für das Spieljahr 2011/2012 berufen. Demnach besuchten 18,7 Millionen Zuschauer die Spiele der Ersten und Zweiten Bundesliga. Dabei gab es 1142 Verletzte (235 Polizeibeamte, 514 Störer, 393 Unbeteiligte). Zum Vergleich: Im deutschen Straßenverkehr gab es 2012 die beachtliche Zahl von 384 100 Verletzten, das entspricht bei 80,5 Millionen Einwohnern einem Risiko von immerhin 1:210.

Wenn wir jetzt die Zahlen ins Verhältnis setzen, kommen wir bei Fußballveranstaltungen zu einer deutlich geringeren Gefährdung von 1:16 375. Das Risiko für Unbeteiligte („normale“ Besucher, Servicepersonal) beträgt gar nur 1:47582. Schlussfolgernd ist anzumerken, dass die Bedrohung, im Straßenverkehr verletzt zu werden, 78-mal, für Unbeteiligte sogar 227- mal höher ist, als in einem Stadion gleichartigen Gefahren ausgesetzt zu sein. Damit gehören deutsche Stadien zu den sichersten der Welt und können entspannt von Gästen aufgesucht werden.

Die Diskrepanzen in der reißerischen Boulevardpresse zu den Verletzten rund um Fußballspiele im Verhältnis zu den verletzten Personen im Straßenverkehr sind in der Realität mehr als deutlich, selbst wenn man ein gewisses Verständnis für den wirtschaftlichen Druck von Einschaltquoten und Auflagenstärken aufbringt. Nicht nur das, an jedem Tag beim Münchner Oktoberfest gibt es eine Anzahl von „Alkoholleichen“ und Verletzten, wie sie kaum jemals bei einem Fußballereignis vorkommen. Allerdings dürfte das Risiko für Polizeibeamte, im Einsatz Verletzungen zu erleiden, deutlich höher als für den „Rest“ der Besucher sein.

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Konservative Wege der Polizei:

Da gibt es eine Reihe bewährter Maßnahmen. Eine der wichtigsten ist die Trennung der Fangruppen bei der Anreise, Stadionaufenthalt und Abreise. Wenn es so ist, dass deutsche Stadien sehr sicher sind, dann ist auch wahr, dass es vor oder nach einem Spiel zu Ausschreitungen kommen kann. Auswärtsfans gefällt es bisweilen wenig, wenn sie am Bahnhof von geschlossenen Einheiten der Polizei in Empfang genommen werden. Gibt es Informationen von mitfahrenden Beamten, dass es bei der Zugfahrt zum Spielort zu Sachbeschädigungen gekommen ist, außerdem viel Alkohol getrunken wurde und sich die Atmosphäre aggressiv aufgeheizt hat, kann die „Begrüßung“ bereits in angelegter polizeilicher Schutzausrüstung erfolgen. Erfahrungsgemäß kommt es dann darauf an, einen geordneten An- und Abmarsch der angereisten Fans zu ermöglichen. Es gab Situationen, bei denen die Ankunft von gewaltbereiten „Fans“ absichtlich mit Erreichen der Stadiontore erst kurz vor Spielbeginn erfolgte, um Zäune zu überklettern und den Eingangsbereich zu stürmen. Ziel ist dabei das Einschmuggeln von Pyroerzeugnissen. Im Vorfeld einer Auswärtsfahrt besteht die Möglichkeit, „Gefährderansprachen“, Reiseverbote oder Meldeauflagen durchzuführen.

Es versteht sich von selbst, dass es gute Gründe für solcherart Maßnahmen geben muss, zum Beispiel, wenn Personen immer wieder durch Straftaten im Umfeld von Fußballspielen auffallen und in der Datei „Gewalttäter Sport“ einliegen. Erst recht, wenn kollektive Maßnahmen gegenüber Fans durch die Deutsche Fußball Liga (DFL), in Abstimmung mit der Polizei durchgesetzt werden. Dann dreht im Sprachgebrauch mancher Fans immer wieder das böse Wort der „Sippenhaft“ regelmäßig die „Ehrenrunde“. Hier sind personalisierte Tickets, ein Verbot des Alkoholverkaufs, begrenzte oder gar keine Gästekarten möglich. Auflagen, die zwar für den Tag das Prozedere klären, aber nicht auf lange Sicht. Gefragt ist im Umgang mit Fans und Ultras vor allem Fingerspitzengefühl, das Aufstellen von klaren Regeln, bei Verstößen das sofortige Einschreiten allerdings auch.

Die übergroße Mehrzahl der Fans will ein friedliches Fußballspiel sehen. Leider schafft es manchmal eine Minderheit, andere Fans aufzuwiegeln. Somit entsteht gelegentlich eine nicht absehbare Härte, denn man kann vieles, aber nicht alles voraussehen. Das Problem sind dann nicht nur die C-Fans, sondern die Mitläufer. Diese wollen gegenüber dem „harten Kern“ nicht als Feiglinge dastehen und lassen sich von deren Provokationen anstacheln. Aber genau diese Personen kann man langfristig wieder „zurückholen“, indem neben der polizeilichen Prävention die Sozialarbeit der Fanprojekte etc. greift.

Polizeibeamte haben oft Erfolg, wenn sie freundlich und konsequent agieren. Auch hier taugt eine undifferenzierte Voreingenommenheit gegenüber „dem Fußballfan“ nicht, wie ich es bei einzelnen Beamten (naheliegend aufgrund persönlicher Erfahrungen wie Verletzungen und Beleidigungen) vermuten musste. Bei meinen vielen Fußballveranstaltungen habe ich vor allem lageangepasste Einsatzstrategien der Bundes- und Länderpolizeien erlebt, aber auch einzelne Spiele, wo ich mir mehr Empathie gegenüber Fans gewünscht hätte.

 

Alternative Wege der Polizei:

Dass über das Verhältnis zwischen Ultras einerseits und dem Deutschen Fußball-Bund (DFB)/ der Deutschen Fußball Liga sowie den Sicherheitskräften, gelinde ausgedrückt, „suboptimal“ erscheint, ist allseits bekannt. Es geht darum, den Blickwinkel auf die eigene polizeiliche Lage und die der Fans als ständigen Prozess weiterzuentwickeln. Das bedeutet auch, Fankultur zu kennen und damit, solange diese legale Wege geht, auch anzuerkennen.

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Ultras sind in der Überzahl keine Hools. Sie leben eine Traditionskultur, die weitestgehend deren Verhalten begründet (siehe Teil III). Daran ändert auch nichts, dass es darunter Gruppen gibt, die Gewalt bewusst einsetzen und sich mit Hooligans zu „Krawalltouren“ verabreden. Hierfür sind repressive Maßnahmen geeignet und erforderlich. Es geht aber überdies darum, im Vorfeld und am Spieltag mit den anreisenden Fans einen konstruktiven Dialog aufzunehmen. Dabei helfen veröffentlichte Hinweise der Polizei zur Anreise, genehmigten Fanutensilien, Regeln bei den Einlasskontrollen usw. Außerdem sind die eingesetzten „Szenekundigen Beamten“ (kurz „SKB“, offiziell: „Szenekundige Beamtinnen und Beamte für Problemfans im Bereich Sport“) und Konfliktmanager als ein Bindeglied zu verstehen. Die Einsatzleiter verfügen gegebenenfalls über eine „Spieltags-Telefonnummer“, somit über einen direkten Kontakt der Fans zur Einsatzleitung. „Der Dialog mit den Gästefans ist immer erst einmal besser, als Polizeiketten mit aufgesetzten Schutzhelmen, das soll die positive Stimmung auf beiden Seiten fördern“ (Projekt PI Hannover). Eine Stunde vor Spielbeginn erfolgt dort beispielsweise das „Kurvengespräch“. Dabei sind alle Verantwortlichen mit den Fanbeauftragten und Fanvertretern versammelt und präzisieren die Abläufe neu. In den Kurven soll den Fans der Gestaltungsspielraum für ihren Support, Zaunfahnen etc. erhalten bleiben, übrigens unter Verzicht auf kommerzielle Bandenwerbung.

Dok13Nach den Ausschreitungen vom 1. September 2002 wird zu den Heimspielen in Dresden ein ähnliches bewährtes Konzept kontinuierlich umgesetzt. Die Polizei kann eine Gewaltregulierung nicht ständig allein bewältigen. Sie darf dabei nicht im Stich gelassen werden. Obligatorisch ist das „Mitziehen“ von Politik, Wirtschaft, dem Deutschen Fußball-Bund/der Deutschen Fußball- Liga, Fédération Internationale de Football Association (FIFA) und Union des Associations Européennes de Football (UEFA), der Vereine und vor allem eine ausreichende Bereitstellung vom Mitteln für Fanprojekte und vieles mehr.

Die Spirale der Gewalt kann nur beendet werden, wenn es keine Verlierer gibt. Deshalb müssen taktisch wie strategisch alle miteinander reden und verhandeln. Darum verstehe ich zum Beispiel nicht, warum der DFB und die DFL einem Fankongress in Berlin trotz Einladung ferngeblieben sind.

Bei dem Thema „Gewalt und Fußball“ gibt es immer eine subjektive, geradezu emotionale Sicht der Dinge. Es liegt in der Natur der Sache, dass jede Seite versucht, ihren Standpunkt durchzusetzen. So ein interdisziplinäres Thema kann man in dieser Kürze nicht allumfassend darstellen.

Dok16 Gewalt ist in den unteren Ligen ebenso präsent. 

Meine Artikel verstehe ich als Gedankenanregung, um einige Zusammenhänge zu er- läutern. Wen das Thema weiter interessiert, kann sich gern bei mir melden. Ich verfüge über eine Power- Point-Präsentation, die ich bereit bin vorzustellen und offen zu diskutieren.

Steffen Meltzer, veröffentlicht in  „Deutsche Polizei“ Landesausgabe Sachsen 04/2014 und    Landesausgabe Brandenburg 10/2013

Grafiken siehe kompletten PowerPoint-Vortrag: hier