Titelfoto: 123rf

Das Ziel ist jedoch ein Strafvollzug, der die Täter von einst befähigt, nach der Verbüßung der Strafe ein straffreies Leben zu führen.

Machen wir mit nachgewiesenen Fakten weiter:

Fast jeder fünfte Erwachsene wird, gemäß einer Studie des Kriminologischen Instituts in Niedersachsen, innerhalb von nur vier Wochen Opfer von Gewalt. Befragt wurden hierzu 4500 Gefängnisinsassen  in 48 Haftanstalten.

Ein Forscherteam der Uni Köln befragte in einer anderen Studie 900 einsitzende Jugendliche. Was herauskam waren alarmierende Zahlen. So gehört Gewalt in all ihren Facetten zum Knastalltag dazu. Es wird als „normal“ erlebt und gehört einfach zum ganz alltäglichen Tagesablauf dazu. Fast jeder Zweite hat eingeräumt, im strafrechtlichen Sinne eine Körperverletzung begangen zu haben. Auf die Frage des Interviewers gab der Wissenschaftler der Uni Köln an, dass 70% der befragten Jugendlichen, sowohl Opfer als auch Täter gewesen sind. Nur Täter oder nur Opfer ist selten, die Rollen vertauschen sich fortlaufend. Das Motto lautet: Lieber selber zuschlagen, als Opfer zu sein. So produziert Gewalt eben Gewalt. Das heißt im Umkehrschluss weiter, dass nur ein geringer Teil der Heranwachsenden von Straftaten in der Justizvollzugsanstalt verschont geblieben ist.

Es gibt Menschen, die kommen von der Opferrolle einfach nicht los.

Sie waren es als Kleinkind, in der Schule, bei der abgebrochenen Berufsausbildung und dann später auch im Knast. In der KFN- Studie „Viktimisierungserfahrung im Justizvollzug, Forschungsbericht 119 aus 2012“ wird der Zusammenhang zwischen eigenen biografischen Gewalterleben und den späteren  Opfererfahrung in den Gefängnissen herausgearbeitet. So erleben zwei Drittel der befragten Männer bzw. drei Viertel der Frauen und Jugendlichen, welche in der Kindheit mindestens eine Gewalterfahrung, die durch unmittelbare Betreuungspersonen erfuhren, demnach gleiches im Strafvollzug. Kinder die ohne Gewalterfahrung aufgewachsen sind, werden deutlich seltener Ofer in Gefängnissen.

Was sind die Folgen von Gewalterfahrungen im Knast?

Die angeführte KFN-Studie führt dazu aus, dass neben den entstandenen körperlichen Beschädigungen, wie blauen Flecken und inneren Verletzungen, vor allem die psychischen Folgen dramatisch sein können. Wut und Zorn, ein Gefühl der Erniedrigung und Hilflosigkeit sind ebenso vorhanden, wie Schlafstörungen, depressive Symptome und Angstgefühle.

In welchen Bereichen finden Gewaltstraftaten statt?

Hier werden die Hafträume, Flure, Treppen und Duschräume vorrangig genannt. In Jugendhaftanstalten sind es oft die gemeinsam genutzten Wohnräume, da Jugendliche ihre Freizeit im engen Kontakt miteinander verbringen dürfen.

Abschließend bemerkt die Studie, dass betreffs Gewalt in Vollzugsanstalten ein großes, bisher faktisch unerforschtes Dunkelfeld vorherrscht, das bisher erstaunlicherweise wenig Relevanz und Resonanz hatte.

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Foto: Steffen Meltzer

Wie können all diesen Fakten zustande kommen?

Kennst du  den Grundsatz: „Wer befiehlt muss sicherstellen“(?) der schon zu Zeiten Napoleons eine Unabdingbarkeit der Führung und Leitung gewesen ist.  Nur so ist eine vernünftige Betreuung und Verwahrung der Gefangenen möglich. Dass nimmt Beamten und Einsitzenden den Druck und vermindert somit weitestgehend Gewalt. Die Hälfte der Justizminister der Länder will jedoch auf Nachfrage sogar Personal abbauen. Gewaltstraftaten in Gefängnissen werden oftmals, ganz entgegen den Hinweisen von Richtern, Wissenschaftler und Justizbeamten, als Einzelfälle dargestellt.

Klar ist auch, dass es ohne eine Hilfestellung gar nicht möglich ist, gerade durch den Strafvollzug traumatisierte Jungerwachsene wieder in das normale Leben zu integrieren. Ein unter Angstgefühlen leidender Jungkrimineller wird erfahrungsgemäß eine noch geringere Hemmschwelle haben zuzuschlagen, als vor seinem weiteren Gefängnisaufenthalt. Schon der geringste Konflikt kann zu einem kriminellen Rückfall führen und verheerende Folgen für Opfer und Täter haben.  Die Symptome von gewalterfahrenen Jugendlichen, die im Gefängnis schlimme Gewalttaten über sich ergehen lassen mussten, sind mit denen einer Posttraumatischen Belastungsstörung durchaus vergleichbar, wie sie bei Polizisten oder Soldaten im Auslandseinsatz mitunter auftreten. Deshalb kann das Wegsperren in den Strafvollzug auf keinen Fall der alleinige Weg sein. Eine Sicherungsverwahrung für Psychopathen und dissoziale Personen, die nicht mehr therapierbar sind, ist natürlich der einzige Weg, um die Gesellschaft vor diesen Menschen zu schützen. Jedoch sollte der überwiegende Teil der Insassen im Strafvollzug verstärkt sozialisiert werden. Damit verbunden, soll das Empathievermögen gefördert werden, damit die Insassen auf ihre Zeit nach der Haftverbüßung gut vorbereitet sind. Und da gehören eine entsprechend angepasste Therapie und die Bereitstellung von Personal und finanzielle Mitteln einfach dazu.

Wieviel Strafgefangene sitzen weltweit wo ein?

Richtig ist, durch Sanktionen zeitnah und konsequent zu handeln. Gerichtsverhandlungen nach zwei Jahren verpuffen ins Nirgendwo. Aber schauen wir uns einmal an, wie viele Insassen einsitzen:

– 10.100.000 weltweit,

–  davon in den USA 2.293.157,

– in Russland 695.500

– in Deutschland 65.889

(Stand 2012, Dr. Darius Schmidt, Universität Warschau).

Um es genauer zu schreiben, auf 100 000 Einwohner entfallen in den USA 716, Russland 486 und Deutschland 80 Gefängnisinsassen. Nimmt man in den USA noch die Todesstrafe hinzu ist klar, dass  häufigere, längere und schärfere Knastaufenthalte keine unmittelbare Auswirkung bei der Bekämpfung der Kriminalität haben. Deshalb greift der Ruf nach immer härteren Strafen definitiv ins Leere. Gerade Jugendliche lassen sich bei ihren Straftaten nicht von längeren Haftstrafen abschrecken (Karl F.Schumann). Wie die USA aufzeigen, ist selbst die Todesstrafe keine wirksame Abschreckung.

In Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten die Anzahl der Diebstähle im Wesentlichen nicht verändert (von Diebstählen in Grenzregionen und Wohnungs-und Firmeneinbrüchen einmal abgesehen). Die ausgesprochenen Strafen sind jedoch im gleichen Zeitraum bedeutend länger und härter geworden (Prof. Peters), trotzdem hat das zu keiner Veränderung in der Kriminalitätshäufigkeit zum Guten geführt. Auch hat sich die Strafneigung der Deutschen verstärkt, so forderten beispielsweise 1970 immerhin 16% der Bevölkerung einen Freispruch für die Übeltäter, 2003 waren es nur noch 1%. Bei Homosexualität als „Straftat“ verlangten wiederum 1970 nur 41% einen Freispruch, währenddessen 2003 73% der Befragten der Meinung waren, dass hier keine Straftat vorliegt.  Schlussfolgernd kann man davon ausgehen, dass auch die öffentliche Wahrnehmung  betreffs Straftaten, einem starken gesellschaftlichen Wandel unterliegen. Währenddessen Gewalt in der Ehe einschließlich Vergewaltigung in der Ehe („…die Frau hat sich in der Ehegemeinschaft dem Manne auf dessen Verlangen hinzugeben…“) bis 1968 durch ein BGH Urteil sogar legal war, ist diese Gewaltform heutzutage natürlich eine Straftat. Dagegen ist Homosexualität in der Gegenwart selbstverständlich keine Straftat mehr. Der Wandel betrifft nicht nur die Definition von Straftatbeständen sondern auch die strafrechtlichen Sanktionen. Einerseits ist es  wenig zielführend, Strafen ins Unermessliche zu verlängern, anderseits macht es keinen Sinn, immer wieder zur Sozialarbeit und Bewährung zu verurteilen, wenn das Urteil dann abends in der Kneipe gefeiert wird und dabei über den Rechtsstaat gelacht wird. Es geht vielmehr um eine konsequente und vor allem zeitnahe Bewertung und Verurteilung von Straftaten, gerade bei jungen Menschen.

Es kommt also darauf an, zeitnah und konsequent abzuwägen. Jedoch muss es seit der Entdeckung der Spiegelneuronen in den 70-er Jahren andere Konsequenzen und Wege zur Resozialisierung von Strafgefangenen geben. Freilich kostet das erst einmal, ist jedoch längerfristig auch der kostengünstigste Weg.  Am sparsamsten und sinnvollsten ist allerdings für ausreichend Schulbildung, Ganztagsschulen, kostenfreies Mittagessen, genügend Sozialarbeiter, ein gutherziges und Grenzen setzendes Elternhaus sowie eine Berufsausbildung zu sorgen. Diese sichert ein eigenen Aus-und Fortkommen und entsprechende soziale Verhaltensweisen bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Das Ganze verbinden wir noch mit einer Ethik und Moral in der Erziehung, ganz entfernt von jeglicher Doppelmoral. Denn das Elternhaus hat eine große, wenn nicht gar größere Verantwortung, für ihre Kinder, dass aus ihnen keine Kriminellen entspringen, als die Gesellschaft. Hierbei hilft ein autoritatives (kein “autoritäres”) Elternhaus, welches die Einhaltung von Regeln vorlebt, gepaart mit Einfühlungsvermögen und Elternliebe.

Deshalb ist die alte Frage müßig zu beantworten, wer für Fehlentwicklungen, seien es Opfertypen oder Gewalttäter, verantwortlich ist: „die Gesellschaft“ oder „das Elternhaus“. Das Eine geht nicht ohne das Andere, beides ist miteinander verzahnt. Jedoch sind auch Kinder aus armen und schwierigen Verhältnissen keineswegs dazu verurteilt kriminell und gewalttätig zu werden wie aus der Resilenzforschung bekannt ist. Ebenso gibt es unter den wohlhabenden Bürgern ebenso schwarze Schafe, die kriminell werden.

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