Titelbild: envato

Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an, so beginnt ein bekannter Hit von Udo Jürgens, jedenfalls für Rentner bzw. Pensionäre.

Wenn du Pech hast, hast du nicht genügend Anrechnungszeiten und musst in der Zukunft „im biblischen Alter“ hoheitlich zum Beispiel noch im Streifendienst „unterwegs“ sein. Dann „darfst“ du Schlägereien schlichten, gefährliche Verfolgungsfahrten bewältigen, Demonstrationen absichern und bei Verkehrskontrollen blitzschnell zur Seite springen, wenn einmal mehr ein Verkehrsteilnehmer dein Haltesignal missachtet und du wieder gesund nach Hause kommen willst. Außerdem kannst du in die Verlegenheit kommen, bei unumgänglicher Notwendigkeit körperliche Gewalt, den Schlagstock, Pfefferspray oder gar die Schusswaffe anwenden zu müssen. Alles kein Problem? Der Vollzugsbeamte hat ja schließlich genug Lebens- und Berufserfahrung zuzüglich einer entsprechenden Aus- und Fortbildung bei einer ständig steigenden Lebenserwartung? Ein Dachdecker soll schließlich auch erst mit Endalter 67 in Rente gehen, wie andere und ich von einer Berufspolitikerin bei einem GdP- Stammtisch mahnend zur Kenntnis erhielten.

 Welche Voraussetzungen stehen für Dich als hoheitlicher Waffenträger?

  • Du sollst geistig und körperlich hoch belastbar sein.
  • In Hochstresslagen reaktionsschnell die richtigen Handlungsalternativen abrufen.
  • Die Handhabung der Waffe tadellos beherrschen.
  • Sehr schnell, vor allem im Nahbereich zwischen einem und fünf Metern, die Waffe einsetzen können.
  • Im Einsatz deine Rechtskenntnisse zur Anwendung der Schusswaffe jederzeit im Gedächtnis parat haben.
  • kognitive Fähigkeiten besitzen, um in Gefahrensituation „ruhig Blut“ zu bewahren.
  • Die Problematik einer unbeabsichtigten Schussabgabe im Einsatz berücksichtigen.
  • Bei einem sich anbahnenden Schusswechsel über die Fähigkeit der Selbststeuerung verfügen.
  • und nachher nicht an einer Posttraumatischen Belastungsstörung erkranken.
  • Einer nachhaltigen umfassenden rechtlichen Prüfung des Schusswaffengebrauchs standhalten.

Der Dienstherr erwartet zu Recht, dass ein ausgebildeter Beamter über die o.a. Fähigkeiten verfügt, wenn es um Menschenleben geht. In Gerichtsurteilen ist nachzulesen, dass Beamte eine diesbezüglich besondere Ausbildung absolviert haben und bei einem Einsatz der Schusswaffe entsprechend danach beurteilt, ja mitunter verurteilt werden. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, musst du wirklich gut drauf sein. Die gesetzliche Altersgrenze für Beamte beruht auf der Annahme, dass ein Mensch nur bis zum einem gewissen Alter den beruflichen Anforderungen gewachsen ist. Wird das Höchstalter erreicht, so vermutet der Dienstherr generell eine Dienstunfähigkeit. Dafür musste es bisher gute Gründe gegeben haben. Durch den Stellenabbau in der Polizei des Landes BB verteilt sich die Arbeit auf immer weniger Schultern. Überlastung und Dauerstress, führen nach der britischen Untersuchung von über 68 000 Menschen, zu einer verkürzten Lebenserwartung. Bereits heute ist jeder vierte Bundespolizist vom Burnout- Syndrom betroffen (DP10/12).

Heißt das in der Zukunft, kurz nach der Pensionierung lauert der Tod? Nach den mir vorliegenden Zahlen haben Polizisten im Land Brandenburg eine ca. dreimal so hohe Sterblichkeitsrate wie der Durchschnitt der Bevölkerung im eigenen Bundesland. Das lässt sich gut errechnen.

Mit anderen Worten: Als Polizeibeamter hast Du statistisch eine verkürzte Lebenserwartung. Aber die Verantwortlichen in der Politik, meinen mit ihrer Gesetzesnovelle wohl, dass der „Dienst zu unregelmäßigen Zeiten“ der vielen Kollegen z.B. der Bereitschaftspolizei, der Revier- und Kriminalpolizei, der Verkehrsdienste oder des Lagezentrums zu einer „längeren Lebenserwartung“ führen, da hier keine anrechenbaren Zeiten für ein früheres Pensionseintrittsalter vorliegen? Wieso z.B. gibt es eine Anrechnungszeit beim Observationstrupp des Verfassungsschutzes aber nicht bei der Observation/Fahndung der Kriminalpolizei?  Was will man damit bezwecken?

Ein Blick in die Zukunft:

Schauen wir uns darüber hinaus einmal einige der natürlichen physischen und psychischen Abbauprozesse ab dem 60. Lebensjahr etwas konkreter an.

Wie könnte in der Zukunft das „Methusalem- Komplott“ in der Polizei aussehen?

Unsere 600 Muskeln bauen im Alter Masse ab. Unsere Kräfte lassen nach, damit auch die Koordinationsfähigkeit. Die Erschöpfung tritt schneller ein, die notwendige Erholung braucht länger. Mit 70 Jahren besitzen wir noch 40 bis 50% unserer Muskelmasse. Wie viel davon hat man noch mit z.B. 63 Lebensjahren im aktiven Dienst? Mit unseren Knochen sieht es dann nicht viel besser aus, ab dem 60.Lebensjahr verlieren wir deutlich an Kalziumgehalt und Dichte. Das Skelett verliert Stabilität, die Knochen werden brüchiger. Kein Vorteil wenn man auf dunklen Gelände eines Tatortes stolpert und hinfällt. Oder bei körperlichen Auseinandersetzungen einen Faustschlag bzw. Fußtritt abbekommt, von gefährlichen Gegenständen einmal ganz abgesehen. Im Alter nimmt die Elastizität der Blutgefäße ab, die Folge können erhöhter Blutdruck und Herz-und Kreislaufprobleme sein.

Interessant: Ab Herzschlag 175/ min wird das Wahrnehmungsvermögen zunehmend eingeschränkt, die Übersicht geht verloren und die Verarbeitungsgeschwindigkeit für visuelle Informationen verschlechtert sich deutlich. Nicht gerade förderlich beim schnellen Treppensteigen mit voller Ausrüstung wie Schutzweste u.a. Einsatzmitteln, bis zur fünften Etage zum Familienstreit mit einem schlagenden Ehemann, einer weinenden Ehefrau, unbeteiligten Kindern und herumliegenden Flaschen und Küchenmessern. Die Leistungsfähigkeit des Gehirns lässt im Alter deutlich nach. Die Schaltverbindungen zwischen den Nerven bauen ab, der ältere Mensch reagiert langsamer. Suboptimal, wenn man innerhalb von Sekunden bei hochkomplexen Sachverhalten vor Ort lageangepasst reagieren muss. Über 60-jährige benötigen deutlich mehr Aufwand um eine verminderte Aufmerksamkeit, z.B. durch eine nachlassende Sehkraft zu kompensieren. Da die Konzentration schneller schwindet ist vielmehr Energie notwendig, um das Niveau einer nötigen Aufmerksamkeit im Einsatz zu erhalten. Da irgendwann Ressourcen aufgebraucht sind, entwickelt sich daraus ein typisches Vermeidungsverhalten, dass in der Zukunft auch bei über 60-jährigen Kollegen auftreten dürfte. Nicht gut wenn es um die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten, geschweige dem Strafverfolgungszwang geht. Das Gedächtnis lässt nach, die Satzmerkfähigkeit, gerade im Einsatzstress notwendig, ist nicht mehr wie früher vorhanden. Die Fähigkeit, von vielen Handlungsalternativen die Richtige abzurufen, fällt zunehmend schwerer. Unablässige Mehrfachaufgaben im Einsatz, z.B. bei einer Verfolgungsfahrt, die Konzentration auf das vorausfahrende Fahrzeug, deren Insassen, daneben das Mithören des Funkverkehrs sowie inhaltliche Speicherung im Gedächtnis, Teamabsprachen über die weiteren Vorgehensweisen, der Beachtung des übrigen Straßenverkehrs, schlechte Sichtverhältnisse durch Regen, Dunkelheit und Gegenblendung usw. können zu einem derartig hohen Stresspegel führen, dass nicht mehr genügend Informationseinheiten für ein sachgerechtes Einschreiten vorhanden sind.

Die Folge ist eine Wahrnehmungsverschiebung die als aufbauendes Bedrohungsprofil empfunden wird. Das kann nachgewiesenermaßen bis zu einem ungerechtfertigten Einsatz der Schusswaffe führen. Selbstverständlich können davon auch jüngere Kollegen betroffen sein, jedoch ist im Einsatz ein dysfunktionale (fehlerzeugender) Stress gerade bei älteren Kollegen durch eine Überlastungsstörung eher vorhanden.

Ursachen sind hier neben der Berufserfahrung (was kann wieder alles auf mich zukommen) eine abnehmende körperliche und geistige Leistungsfähigkeit. Nein, natürlich kann man die beschriebenen Alterssymptome bis zu einem gewissen Grad hinauszögern. Zum Beispiel durch eine regelmäßige sportliche Betätigung, gesunde Ernährung, ein kognitives Gedächtnistraining sowie selbstverständlich durch ein unverzichtbares Einsatztraining. Da nach einem weiteren Gerichtsurteil die Polizei den Querschnitt der Bevölkerung darstellt, ist es nun einmal der Lauf der Dinge, dass mit zunehmenden Alter die Belastbarkeit erst etwas, dann stärker und schließlich rapide abnimmt. Keine guten Voraussetzungen für eine Pensionierung mit fast  65  Lebensjahren, hier am Beispiel des Wach-und Wechseldienstes  ohne Anrechnungszeiten als Voraussetzung, um „schon“ mit 62 Jahren aus dem Dienst auszuscheiden.

Um auf den Ausgangspunkt zurückzukommen:

Der ehrenwerte Beruf eines Dachdeckers steht eben nicht vor der Aufgabe, sich eines plötzlichen Messerangriffs aus kürzester Entfernung erwehren zu müssen. Oder gar innerhalb von einer Winzigkeit an Zeit darüber entscheiden zu müssen, ob jetzt und sofort eine Schusswaffe einzusetzen ist und damit über Leben und Gesundheit eines anderen Menschen zu entscheiden. Der ständige Vergleich mit dem Renteneintrittsalter eines Dachdeckers erzeugt ganz automatisch die Frage, welchen Stellenwert die Polizei im Land Brandenburg gegenwärtig einnimmt. Einerseits ist das eine völlig unangebrachte Gleichmacherei zwischen völlig verschiedenen Berufsanforderungen und Berufsgruppen, andererseits kann man damit gegenüber anderen Wählern auf Kosten der Beamten Stimmung machen, um Stimmen bei der nächsten Wahl zu erzielen. Auch das Auseinanderdividieren der einzelnen Dienstzweige, verbunden mit einem Stellenabbau, erzeugt Demotivation und Dauerstress. Nicht gut für eine „normale“ Lebenserwartung und dem Genuss einer Pensionierung. Klar ist auch, kein Dachdecker wird bis zum 67. Geburtstag arbeiten. Ein vorzeitiger Renteneintritt des Dachdecker als auch eine vorzeitige Pensionierung des Beamten hat nur eins zum Ziel: Durch Abzüge Geld zu sparen. Darüber hinaus würde der Bevölkerung zugemutet, dass in der Zukunft überalterte Vollzugsbeamte hochkomplexe Einsatzlagen, auch unter Anwendung einer Schusswaffe zu lösen haben. „Kollateralschäden“ sind dadurch zukünftig geradezu vorprogrammiert.

Steffen Meltzer

Veröffentlicht in der Deutschen Polizei

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