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Die Gaußsche Normenverteilungskurve

Autor: Steffen Meltzer

Politischer Druck, immer weniger Personal, hoher Krankenstand, schlechter Umgang mit dem Personal, keine Motivation, Schönschreibekultur und immer mehr Aufgaben:

Alle Jahre wieder erfreuen sich viele Beamte des Öffentlichen Dienstes mehr oder weniger über die neuen Beurteilungen durch ihre Vorge-setzen. Denn der Preis ist heiß: Bei einer deutlich überdurchschnittlichen Beurteilung winkt eine der begehrten Beförderungen. Die Frage ist ebenso regelmäßig wiederkehrend: Was sind die angelegten Maßstäbe um festzulegen, was durchschnittlich, über- oder unterdurchschnittlich ist? Ganz schwierig wird es, wenn in einer Organisationseinheit lauter hervorragend qualifizierte und engagierte Experten arbeiten. Bekommen diese auch alle eine überdurchschnittliche Beurteilung und werden demzufolge regelmäßig befördert, um schnellstens ihr Endamt zu erreichen? Wie jeder weiß, ist das selbstverständlich nicht der Fall. Weil das nicht so sein darf, zieht der Dienstherr die sogenannte Gaußsche Normenverteilungskurve heran, die angeblich die Beurteilungsmaßstäbe „wissenschaftlich objektiviert“. Davon einmal abgesehen, dass es Leiter geben soll, die ihre eigenwilligen ganz persönlichen „Maßstäbe“ anlegen, was aber ein anderes Thema darstellt.

Der pensionierte Polizeipsychologie- Oberrat (PHS Münster) und bekannte Autor Dr. Uwe Füllgrabe weist darauf hin: „Der Glaube an die Normenverteilungskurve stellt eher ein Wunschdenken an ein starr- harmonisch-orientiertes Weltbild dar. Und dieser Mythos verhindert offensichtlich, dass warnende Hinweise auf die Nichtexistenz von Normenverteilungskurven überhaupt nicht zur Kenntnis genommen werden“. Weiterhin führt er aus, dass es gar keinen Sinn macht, aufgrund des breit gestreuten Verhaltensrepertoires von Menschen, psychologisch bedeutsame Sachverhalte in einem „Wert“ zusammen-zufassen.

Er begründet seine Auffassung u. a. damit, dass beispielsweise schon 1956 David Wechsler in seinen Intelligenztests festgestellte, dass entgegen der irrtümlich verbreiteten Merkmale einer Glockenkurve, die Intelligenz von Menschen keineswegs „normgerecht“ verteilt ist. Auch Burt (1963) stellte nach seinen Untersuchungen fest, dass Intelligenz viel mehr unter- oder überdurchschnittlich verbreitet ist, als eine Gaußsche Kurve jemals vorausberechnen könne. Das Gleiche trifft auf psycholo-gische Faktoren zu, die laut Schneider- Jansen (1990) nicht automatisch normverteilt sind. Unter anderen verweist auch die US – Psychologin Suzanne Segerstrom (1998) darauf, dass in der Realität Merkmale nicht automatisch normalverteilt sind bzw., dass man nicht unüberprüft von einer Gaußchen Normenverteilung ausgehen kann!

Füllgrabe führt weiter aus, dass es sich hierbei um keine belanglose Kleinigkeit handelt, sondern völlig unterschiedliche Weltbilder deutlich werden. Dabei steht das traditionelle einfache statische Weltbild für idealisierende Phänomene und negiert dabei völlig die reale Komplexität der Natur, die sich an keine Gaußsche Kurven hält. Diese Realität wird dabei als Verirrung angesehen, die angeblich den Fortschritt der Wissen-schaft aufhält

Welche Auswirkungen hat das auf die Praxis?

Microsoft hat die richtigen Konsequenzen gezogen. Eine Beurteilungs-praxis, die sich an die Gaußsche Glockenkurve hält, wurde 2013 kurzerhand über Bord geworfen. Auch dort hatte man angeordnet, wie viele Mitarbeiter gut, weniger gut und sehr gut sein müssen. Nach einer internen Analyse wurde jedoch klar, die Glockenkurve führte abwärts und zwar für das Unternehmen. Ergebnis dieser Beurteilungspraxis war, dass ein Intrigen- und Konkurrenzkampf zwischen den Mitarbeitern entbrannte.

Ehemalige Manager und Spitzenentwickler gaben sogar dieser Beurteilungspraxis nach der vorgegebenen Normenverteilungskurve Schuld daran, dass dadurch zielgenau die eigentlichen Probleme für das Unternehmen entstanden wären. Im Rundschreiben der Personalchefin Lisa Brummel, teilte diese mit: Die sofortige Abschaffung der Kurven, als statistische Verteilung der Mitarbeiterleistung, in einer internen Rangfolge. Also kein mechanisch starres Weltbild mehr, im Umgang mit dem eigenen „Humankapital“ bei Microsoft.

Wie sieht es damit in unserer Polizei aus?

Jeder Kollege wird hier seine eigenen Erfahrungen gesammelt haben. Gut fände ich, wenn zum Beispiel in Brandenburg diese starre Beurteilungspraxis mit den Gaußschen Vorgaben „von Oben“ abgeschafft werden würde. Beurteilungen, sind nichts anderes als Bewertung von Menschen, nach dem weltbekannten Autor und Psychiater Marshall B. Rosenberg, absolute soziale Killer. Nur irgendwelche Maßstäbe müssen eben herhalten, um ein Bewertungs-system zu installieren und zu rechtfertigen. Die Gaußsche Normen-   verteilungskurve war meines Erachtens nur der vorgeschobene Grund, um ein Mangelsystem an persönlicher Förderung und Beförderung „wissenschaftlich“ zu begründen. Besonders sozial unanständig finde ich, dass Kollegen im Eingangsamt in Pension gehen mussten. Als Polizeimeister kann man überleben, mehr aber auch nicht. Es ist ein Trauerspiel, wenn es Vorgesetzten angeblich nicht gelungen sein soll, mit einen Mitarbeiter zielgerichtet so zu arbeiten, dass sich dessen Leistung verbessert. Das ist deren originäre Aufgabe. Ein versagen auf der ganzen Linie.

Ich finde, wir sollten uns am neuen Management des erfolgreichen Weltkonzern Microsoft beim Umgang mit Mitarbeitern orientieren und davon lernen und profitieren. Vielleicht gibt es dann auch weniger Dauerkranke, mehr motivierte und zufriedenen Mitarbeiter und vor dem Pensionierungseintritt viel zu frühe Sterbefälle von Polizeibeamten.