Foto, Grafik, Text: Alle Rechte Steffen Meltzer

Im vorhergehenden Teil hatte ich die beginnende ökonomische Aufrüstung und Vermarktung des Fußballs beschrieben sowie das Auftreten von Randgruppen wie Hooligans und Rechtsradikalen. Diesmal will ich mich der Fankultur in den deutschen Fußballstadien zuwenden, den Ultras.

Sind das die Jungs, vor denen uns unsere Eltern früher schon immer gewarnt haben? Ein ganz eindeutiges „Ja“ und „Nein“! Aber der Reihe nach.

In den letzten Jahren hat sich ein Problem, auch durch die eindeutig doppeldeutige Berichterstattung der Medien, besonders herausgebildet: Das Problem Pyrotechnik. „Südländische Atmosphäre“ in ausländischen Stadien, aber „schwerste Gewaltexzesse“ im deutschen Fußballrund waren jahrelang, bei identischen Sachverhalten, die Medienbeiträge zur Erhöhung von Auflagen und Einschaltquoten.

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Woher kommt dieses Interesse der Ultras an Pyro? Hier ist zwingend ein Blick in die Vergangenheit notwendig, um die Entstehungsgeschichte und damit verbundenen Traditionen der Ultras zu begreifen. Da Ultras keine heterogene Szene darstellen, will ich mich auf einige der kleinsten gemeinsamen Nenner dieser Subkultur beschränken. Die Wiege der Ultras liegt in Italien, sie entwickelte sich dort in den 60er- Jahren aus den Straßenprotesten der rechten und linken Szene, der dortigen Arbeiter- und Studentenbewegung. Die Demos waren straff organisiert, dabei wurden auch Fahnen, Doppelhalter, Megafone und vor allem Pyro wie zum Beispiel bengalische Feuer eingesetzt. Am Wochenende traf man sich im Stadion, auf den billigsten Plätzen, den Stehplätzen in den Kurven. Dort schlossen sich die Gleichgesinnten zusammen, die Hierarchien und Intarsien der Demos wurden einfach übernommen. Die Kurven wurden in Eigenregie verwaltet, um eine eigene Fankultur zu leben, die sich als Gegenpol zum Kommerz verstehen will. Soweit der sehr kurze Abriss zum Ursprung.

Nach einer erneuten Kommerzialisierungswelle bei der WM 1990 in Italien und dem Erliegen der traditionellen Fankultur hielten einige Initiativgruppen europaweit Ausschau, um das Stimmungsbild in den deutschen Stadien zu verbessern. Im Mutterland des Fußballs war der Sport nach der Tragödie im Hillsborough-Stadion von Sheffield (96 Tote) durch die Abschaffung von Sitzplätzen, drastische Anhebung von Eintrittspreisen und weiterer 76 Maßnahmen („Taylor-Report“) entproletarisiert. Deshalb übernahm man letztendlich die Fankultur der italienischen Ultras und brachte diese zielorientiert nach Deutschland.

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Innere Strukturen:

Schauen wir uns demzufolge die inneren Strukturen der Ultras etwas genauer an. Auch hier beziehe ich mich auf einige wenige Gemeinsamkeiten. Bei größeren Ultragruppen gibt es meistens eine stark ausgeprägte Hackordnung. Der „harte Kern“ hält „das Tagesgeschäft“ am Laufen, Grundsatzentscheidungen werden allerdings gemeinsam beschlossen. So gibt es oft einen Vorstand,  die Verantwortliche für Öffentlichkeitsarbeit, Finanzen, soziale Aktivitäten, Verkaufsstände usw. beinhalten kann, außerdem einen Capo (Anführer, Vorsänger). Kleinere Gruppen haben eine flachere Hierarchie und entscheiden durchweg basisdemokratisch. Die engagiertesten Mitglieder haben das Sagen, es gibt auch für Gruppenmitglieder verbindliche Regeln. So steht beispielsweise die eigene Familie hinten an, Ultras sind vielmehr die (Ersatz-) Familie. Auch ein Grund, dass Ultras zumeist im Alter von 15 bis 25 Jahren anzutreffen sind. Es gibt mitunter den passiven und aktiven Mitgliederstatus, manche Gruppen fordern bis zu fünf Fürsprecher, um überhaupt aufgenommen zu werden. Gegenseitige Hilfe und Unterstützung, auch in der Freizeit, bis hin zu finanziellen Hilfen für „angeschlagene“ Gruppenmitglieder sowie Disziplin, Übernahme von Verantwortung und geschlossenes Auftreten in der Gruppe sind vorherrschend. Auch werden Außenseiter vorurteilsfrei in die Gruppe involviert. In einer „Kurve“ sind oft mehrere Ultragruppen anzutreffen, entweder man organisiert einen gemeinsamen „Dachverband“ oder die größte Gruppe gibt den Ton an.

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Ziele:

Was sind die Ziele der Ultrabewegung? Erst einmal ein lautstarker, geschlossener Support (anfeuern, unterstützen) mit kreativen Choreografien (Choreos = einstudierte Aktionen), auch im Wettkampf mit den gegnerischen Ultras im Stadion. Außerdem die Durchsetzung von Forderungen gegenüber DFB, Vereinen, Polizei, Politik. Hierzu dienen Spruchbänder, Stimmungsboykott, Märsche, Demonstrationen, Herausgabe von Magazinen, Fankongresse, Interessenvertretungen wie „Unsere Kurve; Bündnis Aktiver Fußballfans“ usw. Neben verfassungsgemäß legitimierten Aktionen sind Ultras der Gewalt prinzipiell nicht abgetan, um es auch ganz klar zu benennen. Dabei haben unterschiedliche Gruppen unterschiedliche Ansichten, wenn es darum geht, Gewalt als „legitimes Mittel“ bewusst einzusetzen. Um das Handeln zu verstehen, schadet es nicht, sich ein wenig Grundwissen darüber anzueignen. Da gab es die schon immer „übliche Gewalt“, die auf dem sog. Ehrenkodex der Ultras beruht. Demzufolge ist es untereinander erlaubt, sich gegenseitig Schals und Fahnen oder das Gruppenbanner abzuziehen. Übrigens – wenn das Gruppenbanner nicht verteidigt werden konnte, hat sich die Ultragruppe aufzulösen, da sie schlecht organisiert und demzufolge den Namen „Ultras“ nicht wert ist, weiter zu tragen.

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Gewalt:

Wie ist die Selbstdarstellung „der“ Ultras zu „immer mehr Gewalt“? Hier eine nicht vollständige und sehr kurze Zusammenfassung:

  • Steigender Kommerz führt zur Verdrängung traditioneller Verhaltensweisen im Stadion, statt dessen zahlungskräftiges Klatschpappen und Eventpublikum.
  • Sie fühlen sich von der Polizei durch „Willkür“ schlecht behandelt, die Polizei Feindbild Nr. 1
  • Das Bild der Ultras wird von den Medien einseitig negativ wiedergegeben (wie schon beschrieben), dadurch werde man an den gesellschaftlichen Rand gedrängt und braucht sich demzufolge auch nicht mehr an Normen und Regeln zu halten. Eine Gewaltspirale entsteht.
  • Auf jedem Volksfest gibt es täglich mehr Verletzte, zum Beispiel beim Oktoberfest in München.
  • Einseitig abgebrochene Pyrogespräche durch den DFB führen zum Chaos in der Pyroproblematik.

Die heranwachsenden Ultras sind deutlich gewaltbereiter und kompromissloser. Tendenz: Je brutaler, desto besser. Allerdings gehört es auch der Vollständigkeit halber dazu zu erwähnen, dass es auch in der Ultrabewegung kritische Stimmen zum Thema Gewalt gibt und dass man Feindbilder nicht nur bei den Ultras vorfindet.

Die „üblichen Handlungen“ können hierbei sein: kollektives Schwarzfahren, Plünderungen/Vandalismus z. B. in Autobahnraststätten, Werfen von Flaschen und Steinen, Abbrennen von Feuerwerkskörpern, Einsatz von Fahnenstangen, Fahrradketten und Gürtelschnallen. Radikalisierte Ultragruppierungen beginnen sich mit Hooligans zu vermischen, nicht nur dass sie bei Auswärtsspielen auf „Krawalltourismus gehen, sondern sie versuchen bei einigen Vereinen die Marschmusik in den Kurven vorzugeben. So bei einem bekannten Verein im Südosten Brandenburgs. Hier hatte sich seit über zehn Jahren eine Gruppe in der „Kurve“ (= Ausdruck für die Zuschauertribünen hinter den Fußballtoren) gebildet, die sich in ihrem Selbstbild als „Ultras“ ausgaben. Nach den Worten von Winfiede Schreiber, ehemalige Präsidentin des Brandenburger Verfassungsschutzes, bestand sie immerhin aus circa 50 Rechtsextremisten ihrer etwa 100 Mitglieder. Nachdem es der Gruppe immer wieder gelungen war, den Verein an der Nase herumzuführen, wurde diese nun endlich mit einem Erscheinungs- und Auftrittsverbot im Stadion belegt. Ähnliche Probleme gibt es bei der Alemania in Aachen und bei der Borussia in Dortmund.

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Dennoch:

Ultras sind Bestandteil einer Fußball- und Jugendkultur und sind aus den Stadien nicht mehr wegzudenken. Im Gegensatz zu Hooligans sind sie zu circa 90% durch gute Fanprojekt- Arbeit zu erreichen (Kriminologe Prof. Thomas Feltes). Bei Ultras handelt es sich trotz allem überwiegend um lebensaktive interessierte junge Menschen, die sich ebenso politisch einbringen und somit zu wertvollen Mitgliedern der Gesellschaft werden können. Dieser Fakt findet m. E. in den gegenwärtigen Bewertungen immer noch zu wenig Beachtung. Einseitig mit Unverständnis an deren Fankultur heranzugehen, wird das Problem höchstens noch potenzieren und zwar für alle Seiten.

Da Ultras keine einheitliche Szene sind, darf man selbstverständlich auch vor radikalisierenden Abspaltungstendenzen in Richtung Gewalt, wie beispielsweise in Rostock, Bochum oder Bremen, nicht die Augen verschließen.

Das Vertrauensverhältnis zwischen Ultras und DFB kann man grundsätzlich als zerrüttet betrachten. Nicht nur deshalb ist mit einer weiteren Eskalation betreffs Pyro und Gewalt zu rechnen. Hierfür bedarf es keiner hellseherischen Begabungen.

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Im letzten Teil der Reihe soll es um die Maßnahmen gehen, mit der die Polizei versucht, die Eskalationsspirale einzudämmen bzw. zu beenden. Hierbei kenne ich meistens gute Beispiele, eins davon will ich etwas näher vorstellen. Aber auch der DFB und die DFL sollen Erwähnung finden. Hierbei helfen mir meine 40-jährige Fan- und 30-jährige Polizeierfahrung, auch bei vielen Fußballeinsätzen. Natürlich ist so ein ganzheitliches und differenziertes Problem auf eineinhalb Seiten nicht umfassend und vollständig wiederzugeben.

Zum Schluss noch eine gute Nachricht für alle: Alle Endrundenspiele einer Fußball- WM oder -EM müssen nach einem aktuellen Urteil des EuGH weiterhin im frei zugänglichen Fernsehen verfügbar sein. Damit wurde den kommerziellen Superinteressen der Fifa und UEFA ein Riegel vorgeschoben. Das kann auch der langfristigen globalen Problemlösung dienen.

Steffen Meltzer, veröffentlicht in  „Deutsche Polizei“ Landesausgabe Sachsen 03/2014 und  Landesausgabe Brandenburg 09/2013

 

Siehe auch PowerPoint- Vortrag: hier