Autor Steffen Meltzer

Am 08.08.2022 erhielt die Dortmunder Polizei einen Notruf: Auf dem Gelände der St. Antonius Kirche würde „ein junger Mann in besorgniserregender Art und Weise mit einem Messer herumlaufen“. Der Jugendliche, nach Medienberichten ein Senegalese, dessen Alter mit 16 Jahren angegeben wird, soll in „suizidaler Absicht Stiche in den eigenen Bauch angedeutet haben“. Um dessen mutmaßliches Vorhaben zu unterbinden, soll die eintreffende Polizei Pfefferspray und einen Taser zum Einsatz gebracht haben.

Doch plötzlich habe der Mann die Beamten mit seinem Messer (15 bis 20 cm Klinge) angegriffen. Nach einem vorläufigen Obduktionsbefund ist der Angreifer von fünf Schüssen aus einer Maschinenpistole MP5 (Heckler & Koch) getroffen worden, sechs Patronenhülsen wurden vor Ort sichergestellt. Getroffen wurden Bauch, Kiefer, Unterarm und zweimal die Schulter. Noch während der Notoperation sei der Jugendliche verstorben.

Oberstaatsanwalt Carsten Dombert gibt an, ein Betreuer der Jugendhilfeeinrichtung, in der der Jugendliche seit kurzer Zeit untergebracht war, hätte die Polizei gerufen. Die beteiligten Polizeibeamten wurden am Dienstag vernommen, der Beamte, der die Schüsse abgegeben hat, als Beschuldigter geführt. Gleichzeitig soll die Motivation des Messerangreifers noch einmal näher geprüft werden. Soweit der mir zum jetzigen Zeitpunkt bekannte Sachverhalt.

Meist keinerlei Ahnung, aber davon ganz viel

Wie in Deutschland üblich, prasselt auf die beteiligten Polizeibeamten eine Reihe von Vorwürfen nieder. Selbsternannte Spezialisten für Eigensicherung in Hochstresslagen melden sich üblicherweise zahlreich zu Wort, wie auch folgendes Beispiel zeigt.

Eine „schießwütige Polizei“ passt dabei gut in das verbreitete Framing einer mutmaßlich komplett rassistischen und rechten Truppe. Sachliche Erwägungen und Auseinandersetzungen sind bei der Bewahrung der richtigen Haltung eher hinderlich.

Sachliche Hinweise

Sollte der Täter in suizidaler Absicht die Polizeibeamten angegriffen haben, kann es sich um ein weltweit verbreitetes Phänomen handeln: „Suicide by cop“. Dabei wird die Polizei vorsätzlich angegriffen, um sich töten zu lassen.

Das beste Gegenmittel bei einem Messerangriff ist die Flucht. Die kam für die Beamten vor Ort aus Gründen der Gefahrenabwehr allerdings nicht in Frage. Polizisten haben gegebenenfalls auch ihr Leben und Gesundheit einzusetzen, das heißt jedoch nicht, dass sie als Boxsack oder Zielscheibe zu Verfügung stehen müssen. Das Messer ist im Nahkampf eine der gefährlichsten Waffen und oftmals einer Schusswaffe überlegen. Plötzliche Messerangriffe innerhalb von sieben Metern verlaufen nicht selten tödlich und sind nur sehr schwer abzuwehren. Ich kann das aus meiner Zeit als polizeilicher Einsatztrainer umfangreich bestätigen.

Eine gezielte Schussabgabe ist unter diesen Umständen für Streifenbeamte fast gänzlich unmöglich. Dabei kommt in der Regel der sogenannte Deutschuss, also eine ungezielte Schussabgabe zur Anwendung. Ein Treffer ist jedoch noch lange nicht ein „Wirkungstreffer“ mit mannstoppender Wirkung, sodass fast immer mehrere Schussabgaben notwendig sind. In einem anderen Fall wurde ein ganzes Magazin abgefeuert, der Täter dabei mehrfach getroffen, ohne dass der Angriff unterbrochen werden konnte.

Ebenso ist es eine falsche Annahme, dass der Einsatz von Pfefferspray durchweg erfolgversprechend ist. Personen in erregtem Zustand, unter Alkohol und/oder Drogen, zeigen zunächst gar keine Wirkung und sind noch minutenlang in der Lage, auf jemanden einzuwirken bzw. einzustechen. Ich konnte mich selbst davon überzeugen. Einen Messerangriff mit bloßen Händen abzuwehren, gehört ins Reich der Utopien, außer es bleibt als letztes verzweifeltes Mittel übrig, wenn keine Möglichkeit zur Flucht oder anderer Abwehr mehr besteht.

Mein Mitgefühl gilt auch den eingesetzten Polizeibeamten vor Ort. Es ist für jeden Menschen in Uniform eine sehr hohe Anforderung, zur Waffe greifen zu müssen, um sein Leben und das anderer zu schützen und dabei auf einen jungen Menschen schießen zu müssen. Das bringt jedoch der Polizeiberuf unter Umständen mit sich, und nicht jeder Beamte kann damit gut umgehen.

Zunahme der Messerkriminalität

Straftaten mit Messern haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen, dieser Umstand wird jedoch öffentlich, bis auf wenige Ausnahmen, nicht zur Sprache gebracht. In NRW bezifferte Innenminister Herbert Reul „Straftaten mit dem Tatmittel Stichwaffe“ vom 1. Januar 2021 bis 30. Juli 2022 auf 731 Fälle. Das sind pro Tag 13 (bekannte) Messerattacken. Der Landesbezirks-Vize der GdP, Michael Maatz, drückt sich diplomatisch aus: In Punkto Messergewalt sieht er einen „allgemeinen Kulturwandel unter den Jugendlichen“, sie wären sich oft nicht bewusst, „dass ein einziger Stich damit tödlich sein kann“.

Deutlicher wird der Vorsitzende der DPolG Bayern, Jürgen Köhnlein. Er beklagt ein fehlendes Lagebild zu den Messerangriffen, um die Polizeibeamten noch besser trainieren zu können. Er fordert nicht nur einen konkreten Überblick über die Anzahl, sondern auch, welche Personen die Täter sind, unter dem Einfluss welcher Substanzen die Täter stehen, welche Verletzungen zugefügt wurden und wer die Opfer sind. Sein Statement ab Minute 9:40.

Die Frage danach, wer die Täter sind, könnte jedoch die herrschende Politik aufschrecken. Somit muss die Bekämpfung und Prävention dieses zunehmenden Phänomens in den Kinderschuhen stecken bleiben, weitere Opfer eingeschlossen.

Steffen Meltzer ist Autor des Buches Ratgeber Gefahrenabwehr

Mein Beitrag erschien zuerst auf Tichys Einblick