Autor: Wolfgang Meins

Der eine oder andere Fußballfan mag sich vielleicht schon einmal die Frage gestellt haben, warum in der Bundesliga oder auch in anderen europäischen Top-Ligen kaum ein schwarzer Torhüter spielt. Ist es Rassismus oder woran liegt es? Erklärungsmöglichkeiten gibt es viele, hier ein näherer Augenschein.

Der ein oder andere Fußballfan mag sich vielleicht schon einmal die Frage gestellt haben, warum in der Bundesliga oder auch in anderen europäischen Top-Ligen kaum ein schwarzer Torhüter spielt. Die israelische Zeitung Haaretz und die New York Times beschäftigten sich vor gut zwei Jahren jeweils recht ausführlich mit dieser Frage, ohne sie allerdings befriedigend beantworten zu können. So sei in der spanischen und italienischen (ersten) Liga etwa jeder sechste Feldspieler schwarz, aber kein einziger Torhüter, in Englands Premier League seien 57 Prozent der Stürmer schwarz, aber nur 9 Prozent der Torhüter. Immerhin: Es gibt sie überhaupt, die schwarzen Top-Torhüter. Die Antwort auf die Frage, warum das so ist, fällt bei beiden Zeitungen dann aber enttäuschend schlicht aus: „purer Rassismus“, oder, etwas freundlicher, „tief verwurzelte Skepsis“, ob Schwarze als Torhüter hinsichtlich ihrer Fehleranfälligkeit geeignet seien.

Andere Fußballkenner, die sich teils auf ihre Erfahrungen als Scouts in Afrika berufen, weisen auf die dortigen Umstände hin, wo Kinder nicht auf ebenen Rasenflächen, sondern auf Straßen, Höfen oder am Strand Fußball spielen. In das nur provisorisch markierte Tor würden meist die untalentierten, bewegungsfaulen und übergewichtigen Jungs gestellt. Nicht zuletzt auch – da beißt sich die Katze dann in den Schwanz –,weil positive Rollenvorbilder fehlten, die es auf den anderen Positionen dafür zuhauf gebe. In den europäischen Vereinen dagegen werde darauf geachtet, dass sich Kinder schon früh für eine bestimmte Position entscheiden, auch für die des Torhüters. Hier ließe sich kritisch einwenden, dass mittlerweile nicht wenige schwarze Kicker in europäischen Fußballvereinen bereits im Kindesalter den Umgang mit dem Ball erlernen, ohne dass es sich bisher relevant auf die Anzahl schwarzer Top-Torhüter ausgewirkt hätte.

Ein sachdienlicher Hinweis

Bevor es weitergeht im Text, sei hier ein kurzer persönlicher, aber durchaus sachdienlicher Hinweis erlaubt. Das vorliegende Thema interessiert den Autor dieser Zeilen nicht nur als Wissenschaftler und langjährigen Fußballfan (HSV!), sondern auch als fachlich Vorbelasteten: Ich habe in jungen Jahren das Tor einer Jugendnationalmannschaft gehütet und bald darauf das eines Bundesligateams – allerdings nicht im Fußball, sondern im Hockey. Natürlich nicht alle, aber doch etliche der wesentlichen Grundvoraussetzungen für ein erfolgreiches Torhüterdasein dürften durchaus für beide Sportarten gelten.

Bei einem potentiell rassismusaffinen Thema kann es nicht verwundern, dass auch das hier schon des Öfteren gewürdigte Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) sich dessen annimmt. Genauer: eine relativ neue Abteilung dieser Einrichtung, der Nationale Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa). Dessen jüngstes, von einem sechsköpfigen Autorenteam erstellte „Working Paper“, trägt den ebenso sperrigen wie großspurigen Titel: „Racist Stacking im deutschen Spitzensport – Wieso es keine Schwarzen Torhüter in der Fußball-Bundesliga gibt und was das mit Rassismus zu tun hat“.

In der Spielzeit 2020/21 betrug laut NaDiRa der Anteil von Schwarzen in den Mannschaftskadern der Ersten und Zweiten Bundesliga über alle Spielpositionen 20,6 Prozent, dazu kamen noch 9,9 Prozent sogenannte Person of Colour (PoC), die uns hier aber nicht weiter interessieren. Am häufigsten (37 Prozent) waren Schwarze auf der Position des offensiven Außenspielers anzutreffen, am seltensten, nämlich überhaupt nicht, auf der Position des Torwarts. Der Begriff Racist Stacking, so erklären es die Autoren ihren Lesern, werde seit den 1960er-Jahren von US-amerikanischen „Sportsoziolog*innen“ für ein bestimmtes Phänomen im Mannschaftssport verwendet, nämlich „die Überrepräsentation weißer Sportler*innen auf in räumlicher und taktischer Hinsicht zentralen Spielpositionen, die mit Kompetenzen wie Spielintelligenz, Spielaufbau, Spielüberblick, Führungsqualität oder Kreativität verbunden werden, sowie die Überrepräsentation von Schwarzen Sportler*innen auf dezentralen und körperbetonten Spielpositionen, die mit Attributen wie Athletik, Physis, Schnelligkeit oder Instinkt verbunden werden“.  

Zweifel drängen sich geradezu auf

Nach Meinung der Autoren seien das genau die Eigenschaften, die Schwarzen in rassistischen Ideologien zugeschrieben werden. Ebenso alternativ- wie diskussionslos wird nun gefolgert: „Insofern kann Racist Stacking – sofern es auftritt – als Indikator für die Wirkmächtigkeit jahrhundertealter, rassistischer Zuschreibungspraxen gelesen werden“. Aber: Ist es wirklich so einfach, wie es sich diese Anhänger der Critical Race Theory machen? Nicht nur der Autor dieser Zeilen zweifelt daran, sondern auch der seinerzeitige Direktor des Instituts für Sportwissenschaft der Uni Tübingen, Ansgar Thiel, der meinte, es seien weitergehende Untersuchungen nötig: „Man müsse die Spieler nach ihren Erfahrungen befragen, und auch Fußball-Trainer und Talent-Scouts“.

In der Tat sollte man das tun. Denn es erscheint in höchstem Maße abwegig, dass Fußball-Experten wie Trainer und Scouts – in der sehr leistungsorientierten Fußball-Nachwuchsschulung – über mittlerweile Jahrzehnte das wahre Talent von schwarzen Kickern auf Grund eines systematischen Beurteilungsfehlers nicht angemessen zu erkennen vermögen. Außerdem, so wieder Thiel, sollte berücksichtigt werden, „ob es positive Rollenvorbilder gibt, welchen Einfluss die Eltern auf die jungen Spieler nehmen, ob es Moden gibt, sich für bestimmte Postionen zu entscheiden“.

Offenbar ist den DeZIM-Autoren ihr Zirkelschluss selbst nicht ganz geheuer, denn, so wird immerhin konzediert, erfolge eine Beurteilung anhand rassistischer Maßstäbe möglicherweise auch „unbewusst“. Was wiederum nichts anderes bedeutet, als dass sich der Sachverhalt wissenschaftlich nicht näher prüfen lässt, denn wer hat schon Zugang zum Unbewussten? In einer tatsächlich wissenschaftlichen Analyse des hier interessierenden Problems käme Rassismus durchaus als eine Erklärung in Betracht. Nur müssten zum einen dessen konkreter Wirkmechanismus tatsächlich auch nachgewiesen und zum anderen konkurrierende Erklärungen ausgeschlossen werden.

Abwegiges und Plausibles

Als hilfreich bei der Bearbeitung völlig offener wissenschaftlicher Fragen, das sei den DeZIM-Forschungsnovizen ans Herz gelegt, hat sich die Strategie erwiesen, möglichst vorurteilsfrei, breit und ergebnisoffen vorzugehen – zunächst durchaus auch unter Berücksichtigung von vielleicht abwegig erscheinenden Hypothesen. Eine solche wäre etwa, ob hier nicht auch der Glaube an Hexerei von Bedeutung sein könnte, zumal jüngst eine globale Studie ermittelte, dass Hexenglaube nicht zuletzt auch in afrikanischen Ländern immer noch erstaunlich weit verbreitet ist: je niedriger das Bildungsniveau und je geringer die ökonomische Sicherheit, desto häufiger. Zudem scheint in Afrika Hexerei im Zusammenhang mit Fussball eine ganz besondere Rolle zu spielen. Vor diesem Hintergrund könnte durchaus die Hypothese formuliert werden, dass ein Torwart fürchten muss, besonders häufig Opfer von Verhexungen zu werden, kann doch bereits ein kleiner Fehler von ihm spielentscheidend sein. Diese latente Bedrohung wiederum könnte etliche afrikanische Torhütertalente vor dieser Position zurückschrecken lassen oder auch zu entsprechenden elterlichen Verboten führen.

Deutlich plausibler erscheint ein ganz anderer Erklärungsansatz, der allerdings – bereits seit längerer Zeit und zunehmend – auf vermintem Gelände angesiedelt ist, geht es doch um direkte Vergleiche zwischen Schwarz und Weiß, bei denen es naturgemäß auch mal sein kann, dass die Schwarzen schlechter abschneiden könnten. Ausgangspunkt dieses Erklärungsansatzes ist die Frage nach den speziellen kognitiven Voraussetzungen für eine erfolgreiche Karriere als Fußball-Torhüter.

Unstrittig dürfte die überragende Bedeutung einer weit überdurchschnittlichen Reaktionsgeschwindigkeit sein. Sowohl in Bezug auf einen einfachen Reiz – z. B. Stürmer schießt unbedrängt von der Strafraumgrenze aufs Tor – als auch hinsichtlich etwas komplexerer Reizkonstellationen. Gemeint sind damit Situationen, in denen der Fokus der Aufmerksamkeit des Torhüters vergleichsweise stärker variiert beziehungsweise ablenkenden Reizen ausgesetzt ist, etwa, wenn der Torschuss aus einer unübersichtlichen Strafraumsituation abgegeben wird.

Aus neuropsychologischer Sicht reicht folglich eine hohe Reaktionsgeschwindigkeit alleine nicht aus. Vielmehr sollte das kognitive Tempo auch bei bestimmten anderen, etwas komplexeren Anforderungen möglichst hoch sein. Bei dieser im Fachjargon als kognitive Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit oder mental speed bezeichneten Eigenschaft handelt es sich im Übrigen gleichzeitig auch um eine Art Grundbaustein der allgemeinen kognitiven Leistungsfähigkeit des Menschen, deren Ausprägung sie zu etwa einem Viertel bestimmt. Eine weitere Voraussetzung für einen Spitzentorhüter ist eine besondere Fähigkeit zur Antizipation. Damit ist in diesem Zusammenhang die gedankliche und vorstellungsmäßige Vorwegnahme kommender Spielsituationen gemeint, einschließlich der Vorausahnung der Schussrichtung – nicht nur beim Elfmeter.

Ein spannendes sportpsychologisches Forschungsprojekt 

Das allerdings nur in einer Wissenschaftslandschaft umsetzbar wäre, in der politische Korrektheit und Befindlichkeit keine wesentliche Rolle spielen. Wie dem auch sei, auf jeden Fall ist es angesichts der obigen neuropsychologischen Überlegungen ausgesprochen naheliegend, die unterschiedliche Häufigkeit von schwarzen und weißen Top-Torhütern mit einer unterschiedlichen Ausprägung der für diese Position wesentlichen Aufmerksamkeitsfunktionen in Verbindung zu bringen. Welche Stichproben dabei sinnvollerweise untersucht werden sollten, sei dahingestellt, aber die erforderlichen Testungen wären rasch, unkompliziert und zuverlässig jeweils vor Ort durchführbar, einschließlich der etwas sperrigeren Messung der Antizipationsfähigkeit.

Selbstverständlich könnte auf ein solches Forschungsvorhaben auch verzichtet werden, denn so wichtig ist das Problem ja nun auch wieder nicht, zumal auch hier die Wahrheit letztlich auf dem Platz liegt. Bevor aber weltweit Trainer und Scouts aller Wahrscheinlichkeit nach vorschnell und unbegründet vom öffentlich alimentierten NaDiRa als Rassisten diffamiert werden, besteht doch wohl so etwas wie eine moralische Pflicht, andere, nicht-rassistische Erklärungen für das seltenere Vorkommen von schwarzen Top-Torhütern sicher auszuschließen.

Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Wolfgang Meins ist Neuropsychologe, Arzt für Psychiatrie und Neurologie, Geriater und apl. Professor für Psychiatrie. In den letzten Jahren überwiegend tätig als gerichtlicher Sachverständiger im sozial- und zivilrechtlichen Bereich. Prof.  Meins ist Mitautor des Buches „Die hysterische Republik“.

Der Beitrag erschien zuerst auf achgut.com