Autor Alexander Freitag:

Konnte man das frühe Ausscheiden aus dem Turnier 2018 in Russland noch mit „Umbruch“ und die sich auch ansonsten verschlechternden Leistungen der DFB-Deutschen mit irgendwelchen, zur Gewohnheit im Lande gewordenen „Einzelfall“-Erklärungen verkleistern, ergibt sich mit dem erneuten Ausscheiden jetzt in 2022 ein Muster. Das Muster einer Generation von jungen Deutschen, die mehr als „Vorrunde“ nicht kann. Dafür gibt es durchaus Gründe.

Die Nicht-Kompetitiven: Du bist gut, wie du bist

Aufgewachsen in einer saturierten Post-Wachstums-Gesellschaft brauchten sich die heute bezopften Linus-Maltes und körnerkauenden Wiebkes gesellschaftlicher oder ökonomischer Wettbewerbssituation nicht zu stellen: Es gibt in Zahlen gemessen einfach zu wenige von ihnen. Auf 100 der 55-65-jährigen kommen hierzulande gerade einmal 65 der 15-25-jährigen. Die Zeiten der Generationen von „Boomern“ und „X-ern“, die sich in Arbeitsmarkt und Gesellschaft einem starken Wettbewerb ausgesetzt sahen (und folglich auch kompetitiv sozialisiert wurden) sind vorbei – Folge des demographischen Wandels.

Neben dem fehlenden Wettbewerbsdruck alleine aus demographischen Gründen kam eine Veränderung der Erziehungsweise von Kindern hinzu: Der Trend zum Einzelkind bedingte auch den Trend zur Verhätschelung. Legenden erzählen von Helikoptermüttern, die ihren Nachwuchs bis ins Klassenzimmer fuhren – fein klimatisiert im Zweitwagen. Auch ansonsten galt der Grundsatz, dass Wettbewerb eine veraltete Ideologie sei: Du bist gut, wie du bist. Auch, wenn du nicht richtig rechnen oder schreiben kannst – du bist gut. Auch, wenn du adipös bist – du bist gut. Egal, wie du bist – du bist gut. Gleich zu sein war ebenfalls wichtig. Bei sportlichen Schulwettbewerben schlecht abzuschneiden war kein Problem – denn du bist gut, wie du bist.

Herausgekommen ist dabei das, was heutzutage unter anderem auf dem Rasenplatz zu beobachten ist: Junge Leute, die nach vorne zwar irgendwohin schießen – aber nicht treffen. Und wenn dann nach hinten keine Verteidigung vorhanden ist (die Analogie zu den sperrangelweit offenen Grenzen des Landes drängt sich geradezu auf …), wirst du eben zur Schießbude. Was macht man, wenn man merkt, dass man vorne nicht trifft und hinten zur Schießbude wird, ohne daran etwas ändern zu können?

Richtige Zeichen setzen statt richtiger Zeichensetzung

Genau. Zeichen setzen. Haltung zeigen. Moralisch auffüllen, was die Minderleistung und fehlende Motivation zum wirklichen Wettbewerb an Vakuum hinterlässt. Das ist das, was wir erleben. Das ist das, was diese Generation kann: Zeichen setzen. Und früh ausscheiden. Aus den Generationen „Y“ und „Z“ wurde die zusammenfassende „Generation Vorrunde“. Und irgendwo findet sich die zum besten Kumpel gewordene Helikopter-Mami, die den gescheiterten Linus-Malte mit dem fein klimatisierten Zweitwagen abholt, um ihm auf dem Weg nach Hause zu erklären, wie gut er doch sei.

Der Kreislauf hat sich geschlossen. Das Versagen der „Generation Vorrunde“ hat eine lange Vorgeschichte. Und folglich wird es sich so rasch auch nicht lösen lassen. Wir haben nämlich nicht nur ein paar Probleme mit einigen international nicht tauglichen Fußballern. Wir haben ein Problem mit einer international nicht tauglichen Generation. Da kann Manuel noch so viele bunte Binden am Arm tragen und Leon noch so viele Herzchen in die Luft malen: Vorrunde bleibt Vorrunde, die Pokale räumen andere ab.

Ob sich das bis zum Sommer 2024 zur Europameisterschaft im eigenen Lande (die DFB-Deutschen sind also automatisch qualifiziert und dabei) unter solchen Vorbedingungen noch umdrehen lässt, mag mit guten Gründen bezweifelt werden. Aus Ackergäulen lassen sich bekanntlich keine Rennpferde machen. Gut möglich also, dass wir in anderthalb Jahren dieselben Minderleister sind wie heute. Und folglich, zum Auffüllen des Leistungsvakuums, eine regelrechte Moral- und Haltungsorgie über das Gastgeberland hinweggehen wird. Ebenso freundlich wie laut und aufdringlich unterstützt von ARD und ZDF. Denn die DFB-Deutschen sind organischer Teil des zum Inkompetenz-Zentrum gewordenen Gesamtlandes: Anspruchslose, risikoaverse Nicht-Kompetitive, die vorne nicht treffen, hinten zur Schießbude werden, dafür aber vor dem Anpfiff eine quietschbunte Regenbogenshow liefern. Stößchen!

Pokale gibt es dann wieder für die anderen. Macht ja nix. Denn du bist gut, wie du bist, liebe Generation Vorrunde.

Zum Autor: Alexander Freitag ist Wirtschaftspsychologe und Lehrbeauftragter für Präklinische Notfallmedizin & Psychiatrie. Er ist Mitautor des Buches „Die hysterische Republik“.