von Steffen Meltzer

Die 12-jährige Luise wurde von zwei vermeintlichen Freundinnen, die sich in der gleichen Altersgruppe befinden, ermordet. Bezugnehmend auf diese Tat lesen wir im Augenblick tagtäglich über Experten, die behaupten, Kinder in der Pubertät könnten die Folgen eines furchtbaren Verbrechens nicht einordnen. Ich halte es für eine sehr gewagte These, dass 12- oder 13-jährige Kinder die tragischen Konsequenzen ihres Handelns bei besonders schweren Straftaten nicht abschätzen könnten. Wenn Kindern diese Konsequenzen NICHT bewusst wären, wären überall solche Tötungsverbrechen nicht unüblich, das ist aber nicht so. Sie sind nach wie vor, trotz steigender Kriminalitätszahlen durch unter 14-Jährige, eine extreme Ausnahme in dieser Altersgruppe. Auch Kinder wissen, erst recht in einem Alter knapp unterhalb der Strafmündigkeitsgrenze von 14 Jahren, dass man ein Messer nicht oder nicht mehrfach in den Körper eines anderen Menschen brutal und gewaltsam hineinrammt. Außer die Täterinnen sind geistig schwer unterentwickelt und/oder schwer verhaltensgestört. Dann kann das im Einzelfall ausnahmsweise zutreffen.

Es ist leider typisch für dieses Land geworden, dass in der medialen Öffentlichkeit vorwiegend die Tätersicht bei den Erklärungsversuchen eingenommen wird, jedoch das Opfer oder wie hier die Hinterbliebenen weitestgehend sehen müssen, wie sie mit dem Verbrechen klarkommen. Die Informationslage zu diesem mutmaßlichen Mord kann man nur als dürftig bewerten. Demzufolge feuert man damit massiv die Gerüchteküche an. Dann nützt es auch wenig, wenn sich der BDK-Chef Dirk Peglow gegenüber dem sogenannten RedaktionsNetzwerk Deutschland beklagt: „Die Verbreitung von persönlichen Daten oder Bildern mutmaßlicher Beschuldigter durch private Personen in Sozialen Medien stellt eine moderne Form der Hexenjagd dar“. Ich halte absolut nichts von Selbstjustiz, aber viel davon, die Öffentlichkeit auch ohne Freigabe der Identität der Tatverdächtigen präventiv über wesentliche Aspekte des Verbrechens und deren Umstände zu informieren.

Die mangelhafte Informationspolitik zum Tatgeschehen stößt nicht nur bei mir auf starke Kritik: Ich ztitiere Focus-Online:

Die Ankündigung der Staatsanwaltschaft, im Fall der getöteten Luise keine Auskünfte zum Tatgeschehen und Motiv zu geben, stößt auf Kritik. „Über die Motive und das Tatgeschehen auch nach Abschluss des Verfahrens nicht zu informieren, halte ich für nicht tragfähig. Dafür ist die Tat zu spektakulär“, sagte Medienrechtler Prof. Tobias Gostomzyk von der TU Dortmund. „Der Schutz der mutmaßlichen Täterinnen ist zu achten, kann hier aber nicht jegliche Information ausschließen, zumal sie ja bereits gestanden haben.“

Das Opfer wurde mit 30 Stichen getötet, berichtet das gleiche Magazin unter Berufung auf Justizkreise. Nachdem Luise bei der „Freundin“ übernachtet hatte, wurde sie getötet. Die Haupttäterin soll anschließend die Eltern des ermordeten Mädchens angerufen haben, um sich „besorgt“ zu zeigen. Das Nachrichtenmagazin schreibt: „Sie sagte den Eltern, dass Luise sich eigentlich bei ihr melden wollte, wenn sie zuhause sei, dies aber nie tat. Das Mädchen habe daraufhin versucht, auf Luises Handy anzurufen. Erfolglos. Die Täterin servierte den besorgten Eltern damit eine eiskalte Lüge“. Sie soll auch einen Suchaufruf im Internet geteilt haben. Aber nicht nur das, eine Leipziger Zeitung berichtet, das sich bei Täterinnen vor der Vernehmung durch die Ermittler in ihren Aussagen abgesprochen hätten.

Handelt es sich hier tatsächlich um eine 13-jährige Schülerin, die nach Ansicht von Experten angeblich noch nicht die Konsequenzen ihres Handelns absehen konnte? Falls die v. g. Tatumstände stimmen, liest sich das ganz anders. Dann würde es sich um einen geplanten Mord handeln, ausgeführt mit einer Freundin als Helferin, einem mitgeführten Messer als Waffe und dem gezielten Hinführen von Luise auf einen einsamen Waldweg zur finalen Vollendung und die Absprachen gegenüber der Polizei zur Verdeckung der Straftat. Planung, Heimtücke und Raffinesse würden dann einen ganz anderen Hintergrund aufzeigen. Das spricht sehr wohl für die geistige Reife der Tatverdächtigen.

Das Opfer soll außerdem wochenlang gemobbt worden sein, ihr „Fehler“ wäre gewesen, dass sie diese menschenverachtenden Auswüchse Erwachsenen gemeldet hätte. Was wurde in der Schule und im Umfeld zu ihrem ausreichenden Schutz unternommen? Das gilt es gründlich aufzuarbeiten. Eine Unicef-Studie stellt fest, in Deutschland sind 30 Prozent der Befragten in der Schule oder auf dem Schulweg bereits gemobbt worden.

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Aufgrund meiner Präventionsarbeit zum Thema Mobbing und Selbstbehauptung an Schulen und Kindereinrichtungen ist mir die Hilflosigkeit und Gleichgültigkeit an manchen Lehreinrichtungen nur zu gut bekannt, währenddessen andere Schulen dagegen vorbildlich und sofort einschreiten. Ein Direktor versuchte beispielsweise seine Untätigkeit mir gegenüber in einer Elternversammlung damit zu begründen, er habe zum Thema Mobbing keine Ausbildung erhalten. In einer anderen Schule wurde ein Schüler über fünf Jahre schwer gemobbt und gebrochen, bis die entsetzte Mutter eines Klassenkameraden, nachdem sie davon erfahren hatte, der Schulleitung mit einer Strafanzeige drohte, wenn nicht endlich etwas dagegen unternommen wird.

Niemand möchte deshalb mit der eingetretenen Lage für die betroffenen Eltern tauschen. Sie haben nicht nur ihr Kind verloren, sie wissen auch, dass das keine strafrechtlichen Folgen für die Täterinnen hat. Ein wahrlich grausamer Gedanke.

Deutschlands Verantwortliche sollte sich tatsächlich bei sehr schweren Straftaten darüber Gedanken machen, die Strafmündigkeit abzusenken bzw. primär die geistige Reife der Täterinnen als ausschlaggebend zu betrachten. Eine juristische 0815-Altersstufe sollte es normalerweise nicht mehr geben können. Es gibt in jeder Altersgruppe sehr große individuelle Unterschiede. So gesehen finde ich die Festlegung auf 14 Jahre vom 16. Februar 1923 eine antiquierte Regelung. Die Gesellschaft hat sich seitdem sehr verändert. Recht und Gesetz müssen den veränderten Rahmenbedingungen angepasst werden. Es gibt in Europa deshalb Länder, die das erkannt haben und deshalb diese Altersgrenze auf 12 Jahre abgesenkt haben. Im Zweifelsfall muss ein Gutachter herangezogen werden.

Mein Beitrag erschien zuerst auf Tichys Einblick.