In Neuruppin soll sich vor wenigen Tagen eine junge Polizeibeamtin mit einer Waffe erschossen haben. Eine Information darüber war im Netz bereits nach wenigen Minuten wieder verschwunden. Auch ein junger Brandenburger Bereitschaftspolizist soll sich jüngst in Potsdam erschossen haben.

Die Brandenburger Polizei hat immer wieder mit Selbsttötungen ihrer eigenen Kollegen zu tun. So nahmen sich 2011, im Jahr eines umfangreichen Stellenabbaus (sog. „Polizeistrukturreform“), nach den Worten des damaligen Polizeipfarrers Sven Täuber, zwölf Polizeibeamte das Leben, darunter einige Leistungsträger. Dazu kommt im Bundesland ein traditionell hoher Krankenstand jenseits der 10 Prozent Grenze. Alle Bemühungen, diesen Stand zu senken, verliefen bisher im Sande. Da diese Zustände auch etwas mit der Führung des Apparats zu tun haben könnten, wollte man ernsthaft mit neuen Papierlagen bekämpfen. Einige Beamte mussten die Flucht in die Krankschreibung antreten, um sich von Polizeiführern nicht länger schikanieren zu lassen. Denn sonst sind schwere gesundheitliche Schäden, bei einigen bis hin zum Suizid, vorprogrammiert.

Krankenstände und Suizide von Polizeibeamten gehören dringend an die Öffentlichkeit, einerseits weil es wichtig ist, wie mit Menschen umgegangen wird, die mit Steuergeldern bezahlt werden, andererseits weil kein Mensch „freiwillig“ aus dem Leben scheiden muss. Personen, die die Absicht hegen, ihrem Leben ein Ende zu bereiten, signalisieren dieses Vorhaben meistenteils an ihre Umwelt. Arbeitsteams und Familien, in denen das menschliche Miteinander von Empathie geprägt ist, nehmen diese indirekten Hilferufe sehr wohl wahr.

In NRW nahmen sich allein seit 1990 mindesten 230 Polizeibeamte das Leben. Üblicherweise machen es sich die Arbeitgeber im Öffentlichen Dienst damit einfach, indem sie behaupten, dass der Mitarbeiter „persönliche Probleme“ gehabt hätte. Darunter könnte man auch Mobbing verstehen, denn nur der Unterlegene hat damit ein „persönliches Problem“.

Hierzu ein folgendes Beispiel aus der Lebensrealität (Auszug dem Buch Mobbing! Ursachen, Schutz und Abhilfe) :
In der Hauptstadt nahm sich ein 61-jähriger kurz vor der Pensionierung stehender Erster Polizeihauptkommissar (EPHK) auf grausame Art und Weise sein Leben. Polizeibeamte, die ihn kannten, waren sich sicher, er wollte ein Signal setzen. Er hatte über einen längeren Zeitraum mit seinem neuen Chef, einem karrierebewussten jungen Mann aus dem höheren Dienst, erhebliche Auseinandersetzungen und fühlte sich gemobbt.

Gegenüber der Presse bestätigten viele Mitarbeiter die Vorkommnisse, jedoch wollten aus Angst vor dienstlichen Konsequenzen niemand seinen Namen zur Verfügung stellen. Der erfahrene Polizeibeamte beklagte zu Lebzeiten: «Das Menschliche fehlte völlig«. Er wurde mit Zahlen und Tabellen überhäuft, damit die »Abteilung gut dastehe«. Ein Kollege berichtete, der »altgediente« und »exzellente« Polizist habe weinend bei ihm auf dem Sofa gesessen. Er war am Ende, er wollte lieber dem Bürger dienen, anstatt »Zahlen und Statistiken schön zu schreiben«.

Nach seiner Kritik wurde der erfahrene Beamte auf eine andere Dienststelle versetzt und zurückgestuft. Dass die Selbsttötung durch private Probleme verursacht wurde, schließen die Kollegen aus. Der bürgernahe Polizist überschüttete sich auf dem Lankwitzer Friedhof mit Benzin und zündete sich an. Die damals amtierende Polizeipräsidentin Margarete Koppers äußerte, es handele sich um einen tragischen Suizid, »der nach bisherigen Erkenntnissen ausschließlich persönliche Gründe hat ohne dienstliche Zusammenhänge.« Koppers hat inzwischen erfolgreich Karriere zur Generalstaatsanwältin von Berlin gemacht. In ihrer Zeit als stellv. Polizeipräsidentin berichteten die Medien immer wieder über zahlreiche Führungsprobleme in der Berliner Polizei.

Dieses Szenario könnte sich ebenso in Brandenburg abspielen, hier versucht man sogar, die letzten beiden Suizide nicht an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Mit der Strategie, Probleme unter den Teppich zu kehren, hat man seit einigen Jahren gute Erfahrung gemacht.

In Frankreich hat man im Umgang mit diesem Thema eine völlig andere Fehlerkultur. Dort ist Mobbing ein eigener Straftatbestand. Suizide von Polizeibeamten werden öffentlich diskutiert, dementsprechend groß ist der Druck auf die Behördenleitungen, Missständen nachzugehen.


Sollten Sie das Gefühl haben, dass Sie Hilfe benötigen, kontaktieren Sie unbedingt die Telefonseelsorge. Unter der kostenfreien Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 bekommen Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Hilfe bei den nächsten Schritten anbieten können. Hilfsangebote gibt es außerdem bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention. Im Netz gibt es – Beispielsweise bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe – auch ein Forum, in dem sich Betroffene austauschen können.


Steffen Meltzer, Autor von Mobbing! Ursachen, Schutz und Abhilfe

Mein Artikel erschien zuerst auf Tichys Einblick